HOW-TO
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1. WÄHLT EIN THEMA
Dieseshow to ist für unterschiedliche Lernkontexte bestimmt: selbstorganisierte Kollektive, politische Gruppen, Seminare, Klassen oder zusammen mit Freund:innen. Manchmal könnt ihr Themen frei wählen, manchmal sind sie bereits vorgegeben. Das ist okay,
das how to dient dazu, diese Themen zu bearbeiten und mit ihnen zu arbeiten.
2. SAMMELT FRAGEN
Mindestens drei. Mehr sind besser. Die Fragen sollten eurer Wissensinteresse am Thema ausdrücken.
Es kann nach Wissen, Erfahrungen, Erlebnissen,
Meinungen, Analysen etc. gefragt werden.
3. STELLT EUCH DIE FRAGEN GEGENSEITIG UND
BEANTWORTET SIE, WENN MÖGLICH.
Keine Antwort zu haben, ist keineswegs ein Problem,
sondern die beste Bedingung für die nächsten Schritt.
4. PUBLIZIERT DIE FRAGEN
Publizieren kann viele Grade umfassen. Etwas kann
für eine Person, für ein paar oder für viele publiziert werden. Im Folgenden sollen die Fragen auf
vielfältige Weise publiziert werden.
a) Teilt die Fragen mit einer (oder mehreren) Person(n), die nicht im Raum anwesend sind. Welche Medien ihr dabei verwendet, ist euch freigestellt. Ihr könnt die Fragen per Mail verschicken, in den Familienchat bei WhatsApp stellen, auf Social Media teilen, ein TikTok aufnehmen, eine Sprachnachricht versenden, jemanden auf der Straße, im Haus nebenan oder per Telefon fragen. Überlegt euch, wen eure Fragen etwas angehen, mit wem ihr euch austauschen und von wem ihr Antworten auf eure Fragen haben wollt.
b) Sammelt die Antworten.
Das kann schnell gehen oder ein paar Tage dauern,
je nachdem, wie ihr die Fragen publiziert habt. Macht eine Liste mit allen Antworten. Collagiert sie. Nutzt alle zur Verfügung stehenden Mittel. Vielleicht sind die Antworten Text, vielleicht Bilder, vielleicht Video.
Nutzt Etherpads, Whiteboards, etc.
Fügt auch eure eigenen Antworten hinzu.
Bearbeitet sie und fügt Ideen hinzu.
c) Wo kommen die Antworten her? Welche Antworten sind überraschend? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Antworten und den Situationen, in denen sie artikuliert wurden. Antworten sind situational. Macht sie trans-situational (siehe unten).
5. PUBLIZIERT DIE ANTWORTE
Auch das Publizieren der Antworten kann viele Formen annehmen. Teilt die Antworten mit vielen oder nur mit den Antwortenden. Nutzt Zines und Kopierer, Bücher, Blogs, Websites, SubStack, Social Media, Videos,
Podcasts etc.
Passt auf, dass ihr niemanden doxt, arbeitet immer transparent und mit Einverständnis der Befragten. Datenschutz, Copyright etc. sind auf jeden Fall zu beachten.
Ihr habt ein kollektives Wissensrepertoire geschaffen, überlegt euch, wie ihr es zirkulieren lassen wollt.
Was habt ihr über das gewählte Thema herausgefunden? Welches Wissen und welche Interessen sind durch das Publizieren und das Einbeziehen anderer Räume, Menschen und Situationen entstanden?
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Freinets Schuldruckerei
»Es gehörte nur ein wenig Glück dazu, damit eine kleine Versuchsdruckpresse die Werkstatt eines bescheidenen Handwerkers verließ, um in der Klasse von Bar-sur-Loup zu einem pädagogischen Werkzeug ersten Ranges zu werden.« (Freinet 1985: 23)
Dieses how to ist ein Update. Es basiert auf einer Reihe von Techniken, die der französische Lehrer Célestin Freinets
Anfang des 20. Jahrhunderts im Kontext seines Schulunterrichts entwickelt hat. Das how to ist der Versuch Freinets Techniken, sein Experimentieren mit Formen des Lehrens und Lernens aus dem Kontext der Schule herauszuholen und für die Universität sowie das künstlerische und publizistische Arbeiten innerhalb und außerhalb bestehender Lehrinstitutionen zu nutzen. Freinet verband auf experimentelle Weise die Praxis des Lehrens mit jener des Publizierens und nannte dies die Schuldruckerei. Mit ihr wurde das Lernen zu einem kollektiven und kollektivierenden Prozess, der keineswegs an den Grenzen des Klassenzimmers halt machte. ↗ Auch wenn es im Folgenden nicht um eine wissenshistorische Einordnung Freinets gehen soll, sei kurz erwähnt, dass Freinet gerade in Frankreich großen Einfluss auf die Pädagogik in Schulen hatte. Darüber hinaus ist aber auch sein Einfluss auf die Philosophie und Psychologie nicht zu unterschätzen (Freinet 1985; Mouchet und Bénévent 2015). Hier ist vor allem die »institutionelle Pädagogik« zu erwähnen, die Aïda Vasquez und Fernand Oury im Anschluss an Freinet begründet haben (Vasquez u. a. 1976). Über Jean Oury, Fernand Ourys Bruder, hatte die institutionelle Pädagogik zudem Einfluss auf die Auseinandersetzungen in der psychiatrischen Klinik La Borde, dessen Leiter Jean Oury war. Aus der institutionellen Pädagogik entstand die »institutionellen Psychologie«, die wiederum für das philosophische Denken Félix Guattaris prägend war (2015: 92). ↙
Die Schuldruckerei ist – so sagt der Name bereits – eine Technik, die in der Institution der Schule entwickelt wurde, jedoch von jemandem, der mit allem was die Schule damals definiert hat, brechen wollte. 1924 fand der Schullehrer Célestin Freinet eine alte Druckpresse in der Schule, in der er arbeitete. Bereits seit einigen Jahren war er als Lehrer im südfranzösischen Bar-sur-Loup angestellt und machte sich Gedanken, wie er die Arbeit in den großteils von Arbeiter:innenkindern besuchten Klassen reformieren könnte. Für Freinet waren zwei Dinge klar: Die Lehre, wie sie an der Schule praktiziert wurde, hatte äußerst wenig Verbindungen zu der Lebensrealität und dem Alltag der Kinder. Eine Umgestaltung war für Freinet – und das ist der zweite Punkt – jedoch nicht auf der Ebene der Ideen allein zu verwirklichen. Er nutzte die materiellen Gegebenheiten, um das Lehren und Lernen zu verändern. Freinet spricht hier von einem »schulischen Materialismus« (Freinet 1979: 99; siehe auch Hennig 1976: 14). Die Kinder sollten selbst mit Materialien experimentieren und lernen. Die Druckerpresse war so ein materieller Apparat.
↗ Die Ausführungen zu Célestin Freinets pädagogischen Techniken basieren auf seinen Schriften, publiziert unter den Titeln Die moderne Französische Schule (1979) und Pädagogische Texte. Mit Beispielen aus der praktischen Arbeit (1980), sowie den Ausführungen seiner Frau Elise Freinet (1985). ↙
Freinets Verwendung der Druckerpresse als pädagogische Technik folgte einem einfachen Prinzip: Er stelle die Presse in den Klassenraum mit der Aufgabe eine Schülerzeitung zu produzieren. Der Rest – das heißt, alles was nun für solch eine Zeitung notwendig war – wurde von den Schüler:innen kollektiv erarbeitet. Wie funktio-niert so eine Druckpresse? Wie erstellt man einen Satz? Welche Texte sollen gedruckt werden? Wie setzt man einen Text? Wie schreibt man einen Text? Worüber soll geschrieben werden? Was würde die Leser:innen interessieren? Wir sehen, wie die Druckpresse eine ganze Reihe von Fragen eröffnet. Materielle ebenso wie konzeptuelle Fragen. Das besondere dieser Fragen war, dass jede von ihnen der Notwendigkeit für den gemeinsamen Prozess entsprang. Wenn die Schüler:innen nun einen Text verfassten, so erfüllen sie nicht einfach die Textaufgabe des Lehrers, sie verfassten einen Text, um ihn zu drucken und zu veröffentlichen. Und wenn sie ihn setzen, dann nicht, weil es die Klassenaufgabe war möglichst schöne Texte zu setzen, sondern weil sie wollten, dass ihre Zeitung gut lesbar ist (vgl. Henning 1976: 15).
So nutzte Freinet die Druckerpresse, um die Arbeit in der Klasse zu einem kollektiven Prozess zu machen. Alle Schüler:innen konnten ihren Teil beitragen, sie mussten miteinander kooperieren und waren bei der Arbeit aufeinander angewiesen. Diese Form des kollektiven Arbeitens wurde von Freinet auch über das Drucken ausgebaut. Statt die Klassen durch ihn als Lehrer zu organisieren, gründete er Klassenräte, die über die Gestaltung und Organisation der Klasse berieten. Es war eine Form der Selbstorganisation der Klassengemeinschaft und ihren Lernformen durch die Schüler:innen – zugegeben in einem begrenzten Rahmen – , die bereits zu seiner Zeit ein revolutionäres Projekt war und auch heute nur selten in Schulen zu finden ist.
Doch zurück zur Schuldruckerei: Da die Schüler:innen nicht nur den Druckprozess selbst organisieren mussten, sondern auch entschieden, was gedruckt wird, zogen mit der Presse die Themen ihres Alltags in die Schule ein. Geschrieben wurde über das, worüber die Schüler:innen berichten wollten, was sie glaubten, was andere ebenso interessiert wie sie selbst (vgl. Henning 1976: 20). Auch hier stand nicht mehr der Zwang, ein vorgegebenes Thema zu behandeln im Vordergrund, sondern die gemeinsame Überlegung, was andere interessiert, und der Wunsch der Schüler:innen, dass ihre Texte von anderen gelesen werden. Die Druckerpresse war somit nicht nur ein Medium, das das Wissen der Klasse in Form einer Schüler:innenzeitung nach außen brachte. Durch das Schreiben diente die Druckerpresse zugleich dazu, Wissen und Erfahrungen, die außerhalb der Schule gemacht wurden, in den Unterricht einzubeziehen.
All diese durch die Druckerpresse artikulierten Techniken produzieren ihre je eigenen Formen des Wissens: das technische Wissen, die Presse zu bedienen, das Wissen des Setzens, des Schreibens, der Gestaltung und der Recherche. Das Wissen ist ein pragmatisches, da sowohl die Fragen als auch die Antworten aus den Erfordernissen des Prozesses hervorgehen. Als Lehrer hilft Freinet diese Fragen zu beantworten und Lösungen zu finden. Doch die Probleme sind keine fiktiven, von ihm gestellten, sondern jene, die im Prozess entstanden sind und die es nun kollektiv und mit seiner Hilfe anzugehen gilt (vgl. Henning 1976: 14-15).
Was die Auswahl von Themen anging, so griff Freinet noch auf eine andere, von ihm bereits seit ein paar Jahren
praktizierte Technik zurück: Die Brieffreund:innen-schaft, bzw. das Korrespondieren. Freinet hatte den Kontakt zu anderen Schulen in Frankreich aufgebaut, um zu ermöglichen, dass sie Schüler:innen im Unterricht Briefe an ihre entfernten Mitschüler:innen schreiben konnten. Diese Briefe waren voller Fragen nach dem Alltag, dem Leben, nach den Gegebenheiten und der Umgebung anderer Schüler:innen, der Orte und der Kultur, in denen sie lebten. So entstand ein Austausch von Fragen und Antworten, in dem die Schüler:innen neue Lebensrealitäten kennenlernten und über ihre eigenen Lebensumstände nachzudenken begannen. Plötzlich wurde nach dem gefragt, was immer als selbstverständlich galt und es musste recherchiert, beschrieben und erklärt werden.
Auch für die Schüler:innenzeitung dienten die Briefe als Möglichkeit der Themenproduktion. Ihre Fragen brachten zum Ausdruck, was mögliche Leser:innen interessierte und was passende Artikelthemen wären. In diesem Sinne würde ich sowohl das Briefeschreiben und das Drucken der Zeitung als Teile des von Freinets pädagogisch-publizistischer Technik beschrieben. Auch wenn die Leser:innenschaft sehr unterschiedlich ist: Bei den Brieffreund:innen sind es einzelne Schüler:innen, manchmal auch die gesamte Klasse, bei der Zeitung hingegen ist es die gesamte Schule und das Dorf, vielleicht sogar Menschen darüber hinaus. Doch beide Methoden sind auf ihre je unterschiedliche Weise Techniken, die das Schreiben und Recherchieren in die Welt der Schüler:innen situieren und zugleich die Möglichkeit eröffnen, die eigene Welt mit anderen Erfahrungen zu verbinden.
Auch wenn Schüler:innen heute einen deutlich leichteren Zugang zu Informationen an anderen Orten haben und mit diesen in Kontakt treten können, so ist Freinets Publizieren als pädagogische Praxis keinesfalls obsolet geworden. Hat Freinet durch seinen Einsatz der Druckerpresse und Brieffreund:innenschaften Techniken entwickelt, die an die sozialen Dynamiken eines lokalen wie überregionalen Austauschs erinnern, wie er heute durch Social Media ermöglicht wird, lässt sich gegenwärtig fragen, wie Medienpraktiken des Postens, Teilens und Self-Publishing an Freinets Pädagogik anschließen und wie sich diese zur Vermittlung einsetzen lassen. ↗ Zu den aktuellen Praktiken des Self-Publishing und ihrem Einsatz als pädagogische Praxis siehe Walzer (2025). ↙
Freinetmaschinen bauen
Freinet hat in seinen Experimenten das pädagogische Potential des Publizierens und Korrespondierens erkundet und erprobt. Heute, in einer Zeit des allgegenwärtigen Mikropublizierens in Form von Social Media Beiträgen (Walzer/Linseisen, im Erscheinen) haben sich zwar die Bedingungen und Infrastrukturen verändert, doch bleibt die Frage, wie sich experimentelles und kollektivierendes Schreiben und Publizieren als Techniken in Formate des Lehrens und Lernens einsetzen lassen. Wie kann man aus einer Medientechnik eine pädagogische Technik machen? (Freinet 1980: 36) Welches Potential haben die Techniken des Publizierens und Korrespondierens heute für Wissensproduktion und Vermittlung und wie ließen sich diese Techniken im Sinne der »institutionellen Pädagogik« einsetzen, um jene institutionellen Rahmungen zu befragen, die das Lehren und Lernen so grundlegend geprägt haben und immer noch prägen? Welche Kollektivierungsformen bringen sie hervor? Welche gemeinschaftlichen und relationalen Praktiken entstehen in ihnen und wie lassen sich Beziehungen schaffen, die über den lokalen Raum (des Seminars, der anwesenden Gruppe etc.) hinausreichen?
Die folgenden sechs Punkte sollen dazu dienen, Freinets Praxis des Publizierens und Korrespondierens in gegenwärtigen Lehr- und Lernkontexten (seien sie selbst organisiert, seien sie Teil bestehender Institutionen wie der Universität oder der Schule) einzusetzen und von ihnen ausgehend eigene »pädagogische Techniken« zu entwickeln.
Das vorangestellte how to ist solch ein Versuch.
1. Publizieren als Materielles Lernen
- Durch die Druckerpresse wird ein Problemfeld eröffnet, in dem das Lernen sich auf konkrete Probleme wie das Bedienen der Druckerpresse, die Gestaltung der Druckseiten, das Schreiben von Inhalten für eine Leser:innenschaft bezieht.
- Statt künstlich gestellter Probleme (durch die Lehrer:in) ist es ein Lernen in Auseinandersetzung mit den materiellen Bedingungen. Es ist der Akt des Publizierens (mit Druckerpresse oder mittels digitaler Infrastrukturen), durch den die Anforderungen entstehen. Welche Texte werden wohl gelesen? Welche Themen interessieren uns und die Leser:innen? Wie passen sie auf die vorgegebenen Seiten? Wie lassen sich die Texte verteilen?
Wer liest die Texte? Wo sollen die Texte publiziert werden? Wie zirkulieren diese? Wie werden diese geteilt, kommentiert und betreut? - Gerade der Umgang mit den sozio-technischen Infrastrukturen führt zu einem Lernprozess, der denen von D.I.Y., Maker- und Hacker:innenkulturen ähnelt. Statt einem Lehrplan zu folgen, müssen die Probleme gelöst und die Technik zum Laufen gebracht werden.
2. Techniken verbinden
- Eine Technik kommt selten allein. Das ist besonders bei der Druckpresse zu sehen.
- Die Druckpresse bedienen zu können reicht nicht. Mit der Druckpresse werden Techniken des Schreibens, des Recherchierens, des Gestaltens etc. wichtig.
- Die Druckpresse als Apparat evoziert eine ganze Ökologie von Techniken und produziert so ein komplexes Gefüge von Wissen, das über die funktionale Bedienung hinausgeht. Auch aktuelle Publikationsplattformen wie Social Media, Blogs, Newsletter etc. produzieren ihre ganz eigenen Anforderungen was ihre technische, publizistische, kommunikative Praktiken angeht. Eine Pädagogik des Publizierens verbindet diese vielfältigen Techniken und experimentiert mit ihren Überschneidungen und Interferenzen. Auf Social Media Plattformen kann dies eine ganze Verkettung von anschließenden, teils gewaltvollen Kommunikationspraktiken hervorrufen. Hier unterscheiden sich aktuelle, multidirektionale und algorithmisch gesteuerte Infrastrukturen des Publizierens von jenen großteils unidirektional verlaufenden Publikationstechniken, die Freinet eingesetzt hat.
3. Publizieren situiert Wissen
- Durch den Publikationsprozess ist das angeeignete Wissen nicht mehr abstrakt oder folgt lediglich der Idee der Lehrer:in, sondern ist situiert, das heißt, es kommt aus der Erfahrung der Schüler:innen und ist zugleich auf potentielle Leser:innen gerichtet.
4. Publizieren ist trans-situational
- Durch die Technik des Publizierens – ebenso wie die des Korrespondierens – wird die Situation erweitert: Fragen über den Alltag etc. kommen aus anderen Gegenden, Orten und Situationen. Zugleich wird aber auch das eigene Wissen durch die Publikation bzw. Korrespondenz in andere Situationen vermittelt und dort rezipierbar. Publizieren und Korrespondieren sind somit trans-situationale Techniken. Sie sind weder auf eine Situation zu beschränken noch sind sie abstrakt und ortlos. Sie agieren zwischen verschiedenen Situationen, die sie miteinander verkoppeln.
- Diese trans-situationale Dimension kann dazu dienen, bestehende Wissensvorstellungen aufzubrechen und Selbstverständliches zu hinterfragen. ↗ Für eine ausführliche Diskussion der trans-situationalen Pädagogik vgl. Egert (im Erscheinen). ↙
5. Selbstorganisation
- Ein wichtiger Aspekt ist die Technik des Organisierens. Der Publikationsprozess muss organisiert werden. Auch dies ist eine pädagogische Technik.
- Bei Freinet ist es noch Teil der Schule, doch lässt sich seine Pädagogik des Publizierens in vielfältigen Kontexten einsetzen. Die durch das Publizieren erzeugten Kollektivierungsprozesse sind oftmals sogar besser außerhalb von Bildungsinstitutionen wie der Schule oder Universität zu praktizieren.
- Selbstorganisation gewinnt an Bedeutung, wenn es in außerschulischen Kontexten und außerhalb bestehender Institutionen praktiziert wird.
6. Zugänge schaffen / Kollektivität öffnen
- Dieser Punkt spielt bei Freinet aufgrund der Situierung der Praxis in der Schule und zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine große Rolle (zumindest schreibt er nicht darüber).
- Wie können diese kollektiven, selbstorganisierten Prozesse des Publizierens, des Korrespondierens und der Wissensproduktion offen und zugänglich bleiben?
- Zugänge sind dabei auf verschiedenen Ebenen wichtig:
a) Zugänge zu den publizierten Texten
b) Zugänge zum kollektiven Prozess des
Publizierens (Klasse als geschlossene Gruppe, andere Kollektive offener)
- Daran schließt sich die Frage an: Wie kann man durch Publizieren selbst Zugänge schaffen?
- Für Freinet waren diese Fragen nicht wichtig, heute sind sie jedoch nicht zu umgehen. In einer kapitalisierten Publikationswelt ist es wichtig darauf zu achten, dass das Publizierte nicht nur durch hohe Kosten zugänglich ist.
↪ Hohe Kosten sind dabei sowohl im klassischen Publikationsbetrieb (durch Access Gebühren) zu finden,
↪ sowie in Form von Datenextraktivismus auf online Publikationsplattformen wie X/Twitter, SubStack etc.
Literatur
Egert, Gerko (im Erscheinen):
Performancekunst und die Politik des Handelns, Berlin: August.
Freinet, Célestin (1979):
Die moderne französische Schule,
Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften, Paderborn: Schöningh.
Freinet, Célestin (1980):
Pädagogische Texte mit Beispielen aus der praktischen Arbeit nach Freinet, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Freinet, Elise (1985):
Erziehung ohne Zwang: Der Weg Célestin Freinets, Stuttgart: Klett-Cotta.
Guattari, Félix (2015):
Psychoanalysis and Transversality:
Texts and Interviews 1955–1971.
South Pasadena, CA: Semiotext(e).
Hennig, Christoph (1976):
»Freinet-Pädagogik: Eine konkrete Alternative für die Schule«, in: Aïda Vasquez / Fernand Oury (Hg.), Vorschläge für die Arbeit im Klassenzimmer: Die Freinet-Pädagogik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 9–36.
Linseisen, Elisa/Walzer, Dorothea (Hg.) (im Erscheinen):
Banales Publizieren. Praktiken,mVerfahren und Episteme des digitalen Selbstveröffentlichens, Lüneburg: Meson Press.
Mouchet, Claude / Bénévent, Raymond (2015):
Von Freinet zu Freud: die institutionelle Pädagogik von Fernand Oury, Frankfurt am Main: Peter Lang Edition.
Vasquez, Aïda/Oury, Fernand/Henning, Christoph/Rohrwasser, Angelika/Markert, Dorothee/Vesper, Elke/ Zülch, Hans-Martin (Hg.) (1976):
Vorschläge für die Arbeit im Klassenzimmer: Die Freinet-Pädagogik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Walzer, Dorothea (2025):
»How to Selfpublish in Student-Writing? Selbstpublizieren im Theorie-Praxistest«, in: Julia Bee/Gerko Egert (Hg.), Experimente lernen, Techniken tauschen. Ein experimentelles Handbuch Nr. 2, Bochum/Berlin: nocturne, S. 355–379.