HOW TO – WIE IHR DIESES BUCH BENUTZT

  • Blättert durch das Buch und lasst euch inspirieren.
  • Probiert eine Technik aus, die euch zusagt –
    vielleicht auch eine, die ihr befremdlich findet.
  • Verändert diese Technik gemäß eurer Lernsituation (Seminar, Workshop, Probe,
    Performance, Lesegruppe …).
  • Was hat die Technik mit der Lernsituation gemacht? Wie wurde sie verändert?
    Was sagt die Gruppe dazu?


In dieser zweiten Ausgabe haben wir weitere Techniken des Lernens und Lehrens versammelt – aus der Universität, Kunst, Politischen Bildung und dem Aktivismus. In allen diesen Feldern findet Lernen statt – manchmal systematisch, manchmal spontan. nocturne widmet sich seit fünf Jahren diesen Spielräumen zwischen Spekulation und Spielanleitung. Deshalb geben wir nun die zweite Ausgabe des spekulativen Handbuchs heraus. Aktuelle Themen und Methoden wie die Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe, digitale Methoden und Arbeit an Gedenkstätten spielen in dieser Ausgabe eine Rolle.

Im spekulativen Handbuch wird eine Spannung thematisiert: zwischen einer Vorgabe in Form der strikt erscheinenden how tos zu Beginn der Texte und ihrem spekulativen Charakter, der zwischen Spiel und Protokoll changiert. Im Sinne des von der Prozessphilosophie und dem Pragmatismus geprägten »spekulativen Pragmatismus« (Manning/Massumi 2014) schlagen wir vor, beide Pole zusammenzudenken. Das how to stellt eine Praxis zur Verfügung, um von dort aus zur handlungsbasierten Spekulation bzw. zum Experimentieren einzuladen.

Unsere grundlegende Philosophie der experimentellen Vermittlung verfolgen wir mit neuen Ansätzen weiter: nocturne möchte den Austausch von Lernenden und Lehrenden aus unterschiedlichen Feldern unterstützen. Praktiken und Techniken zirkulieren dabei zwischen Kunst, Aktivismus und Wissenschaft. Das Anerkennen der Pluralität von Lernräumen und die Gestaltung von Lehr- und Lernerfahrungen stehen im Fokus. Wie im ersten Teil von Experimente lernen, Techniken tauschen geht es nicht um Vorgaben, die eins zu eins umgesetzt werden sollen, sondern um einen spielerischen Umgang mit Protokollen, how tos und algorithmischen Prozessen. Die how tos sind zudem eine Möglichkeit, sich experimentell mit in aktuellen Medienkulturen allgegenwärtigen Tutorials auseinanderzusetzen. Wir schlagen vor, das how to als eine Form des Teilens zu verstehen, die den eigenen Zugang möglichst ›nachbaubar‹ macht – also eine Art Open Source für Lehrlernexperimente darstellt. Die Struktur der how tos ermöglicht, Techniken des Denkens und Handelns durch das Aufschreiben offenzulegen und vermittelbar zu machen. Dadurch wird auch deutlich: Jeder Akt der Vermittlung ist medial geprägt. Beim Programmieren beschreibt das Veröffentlichen eines Codes als Open Source nicht nur, dass dieser frei zugänglich ist, es ist zugleich eine Einladung, diesen zu verändern und weiterzuentwickeln. Wir verstehen Open Source nicht nur als die Produktion von Software. In Form der how tos prägt die Open Source Anwendung die Prozesse sozialen Handelns, wie etwa Lernsituationen. Sie zu teilen, ihren Code offenzulegen und ihn operationalisierbar zu machen sowie gemeinsam zu reflektieren, öffnet ihn für andere, macht ihn anwendbar und vervielfältigbar (Bee/Egert im Erscheinen).

Jede Methode ist situiert und kann nicht einfach beliebig aufoktroyiert werden – sie ist kein Automatismus, der ohne Situationsspezifik zum gewünschten Ergebnis führt. Diese Situierung gilt nicht nur für die Wissensproduktion (Haraway 1995), sondern auch für ihre Vermittlung (Bee/Egert 2020). Für Lernende und Lehrende trifft dies genauso zu wie für Situationen und Kontexte, in denen sie handeln.

Experimentell vorzugehen, heißt nicht, ziellos zu sein. Das Ziel kann sein, Freiräume zu schaffen und für Unerwartetes zu öffnen. Deshalb verwenden wir hier das Spekulieren als einen Moment, um das Offene in einen (verbindlichen) Rahmen zu setzen, zu situieren und gleichzeitig dem Experiment gegenüber offen zu sein. Insbesondere in Zeiten wie heute, in denen das Lernen und Bildungsorte angegriffen werden, können gemeinsam gestaltete Experimentierräume Solidaritäten und Hoffnung stärken. Indem gemeinsame Lehrlernerfahrungen gemacht und reflektiert werden, können demokratische Prinzipien erprobt und verfestigt werden. Der Vereinzelung und Entwertung in neoliberalen Zeiten kann so im Kleinen entgegengewirkt werden. Zudem gibt es die Möglichkeit zur Entstehung von Neuem und damit eine situative Öffnung auf das Unerwartete. Grundlegend wird dabei autoritären Projekten des Eingriffs in die Universität widersprochen, wie wir sie aktuell in den USA, aber auch in Europa erleben (Jackson 2025). Die Universität als Ziel metapolitischer Diskurse wird immer mehr Ziel von Kontroversen. Wie neutral und politisch darf oder soll Uni, Wissen und Lernen sein? Inspiriert vom Lernen im Kontext emanzipatorischer Bewegungen, verstehen wir dieses neben der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen (Friedrichs 2021) als einen Zugewinn von Freiheit und Gleichheit. Lernen ist immer situiert und politisch. Das heißt gerade nicht, Meinungen autoritär durchzusetzen. Eine angebliche Neutralitätspflicht, wie sie aktuell diskursiv aufgebaut wird, produziert Unsicherheit und Angst unter Lehrenden. ↗ In der Politischen Bildung orientiert man sich daher am Beutelsbacher Konsens: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot, Schüler:innenorientierung, vgl. https://www.bpb.de/die-bpb/ueb... vom 07.04.2011. Siehe auch das Statement der GEW zum Neutralitätsgebot: https://www.gew.de/aktuelles/detailseite lehrkraefte-muessen-nicht-neutral-sein vom 25.04.2024. ↙ Wir glauben, wir sollten deshalb erst recht den Austausch zwischen Universität und engagierten Lehrenden außerhalb der Universität suchen – und dennoch respektieren, dass es unterschiedliche Logiken, Ziele und Methoden des
Lernens in der Kunst, Universität und dem Aktivismus gibt. Gerade ihre Differenzen können gegenseitig inspirieren.

Sie und Ihr halten/haltet eine Einleitung zum Ausprobieren, Verändern und Hacken von Techniken und Praktiken in den Händen. Es geht weniger um das Befolgen als ums Verändern. Jede Technik kann die Grundlage und das Sprungbrett sein, gemeinsam etwas Neues zu wagen.

Alle hier gedruckten Texte werden frei zugänglich auf unserer Plattform www.nocturne-plattform.de zur Verfügung gestellt. Zudem stellen wir dort auch nach Erscheinen dieses Buches weitere Texte zur Verfügung. Viel Freude beim Lesen, Ausprobieren und Verändern!

Wir danken Ricarda Löser für die Gestaltung, Ivana Buhl für das Korrekturlesen, dem Verein nocturne für seine Unterstützung und Beratung sowie allen Autor:innen für die Beiträge.

Der Fakultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum danken wir für die freundliche Förderung.

Literatur

Bee, Julia/Egert, Gerko (Hg.) (2020):
Experimente lernen – Techniken tauschen. Ein spekulatives Handbuch, Weimar / Berlin: nocturne.

Bee, Julia / Egert, Gerko (im Erscheinen):
»nocturne. Open Source Praktiken und Pedagogic Publishing«, in: Elisa Linseisen / Dorothea Walzer (Hg.), Banales Publizieren. Praktiken, Verfahren und Episteme des digitalen Selbstveröffent-lichens, Lüneburg: Meson Press.

BpB (2011):
»Beutelsbacher Konsens«, https://www.bpb.de/die-bpb/ueb... vom 07.04.2011. Abgerufen am 16.04.2025.

Friedrichs, Werner (2021):
»Politisch-ästhetische Bildung durch künstlerisch-forschende Praxis«, in: Thomas Goll  /  Werner Friedrichs (Hg.), Politik in der Kunst, Kunst in der Politik. Zum Potential ästhetischer Zugänge zur Politik, Wiesbaden: Springer, S. 11 – 34, hier S. 15.

Haraway, Donna (1995):
»Situiertes Wissen. Die Wissenschafts-frage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive«, in: dies. (Hg.), Die Neuerfindung der Natur.
Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt am Main: Campus, S. 73 – 97.

Jackson, Vicki C. (2025):
»The Trump Administration’s Attack on Knowledge Institutions«, Verfassungsblog, https://verfassungsblog.de/edu....

GEW (2024):
»Lehrkräfte müssen nicht neutral sein«, https://www.gew.de/aktuelles/d... vom 25.04.2024. Abgerufen am 16.04.2025.

Manning, Erin / Massumi, Brian (2014):
Thought in the Act: Passages in the
Ecology of Experience, Minneapolis: University of Minnesota Press.