How To
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Die Arbeit beginnt mit einer Recherche der Orte, Bilder und Texte, die die Praxis des Studierens zeigen.
Wo und mit welchen Zielsetzungen zirkulieren diese Bilder und Texte?
Was sagen sie über das Studieren und die Studierenden aus?
In welcher Weise ›erfinden‹ oder ›entwerfen‹ diese Bilder und Texte das Studieren?
Zeigen sie den eigenen Alltag oder Ausschnitte daraus?
Oder wirken sie eher ›ausgedacht‹ und überhöht?
Weisen sie Bezüge zu Campus-Szenarien aus anderen Medien (etwa TV-Serien wie Sex Education) auf?
Welche Wirkung geht von diesen Bildern und Texten aus?
Lassen sie ambivalente Momente oder Uneindeutig-keiten erkennen?
Oder zielen sie auf eine geschlossene Bedeutung?
Weisen sie nicht-reproduktive ↗ Im Sinne Lauren Berlants ist mit dem nicht-reproduktiven Sozialen die Möglichkeit einer Öffnung des Sozialen für Unvorhergesehenes gemeint. Berührt wird damit die Frage, wie erwartbar soziales Verhalten in bestimmten Umgebungen ist bzw. welche Narrative und Szenarien Umgebungen aufrufen, die soziale Verhaltensweisen modulieren. ↙ Momente des Sozialen auf?
Schrittweise sollte die Analyse der Bilder und Texte zu der Frage überleiten, ob sie im studentischen Alltag eine Wirkung entfalten und wenn ja, wie sich diese beschreiben ließe. Wird die Frage mit ›nein‹ beantwortet, wäre zu diskutieren, welche anderen/alternativen Bilder des Studierens im eigenen Alltag relevant sind und aus welchen Quellen sie sich speisen. Beide Überlegungen bilden die Grundlage für das Nachdenken über die Genrehaftigkeit des eigenen Alltags, die hier sowohl kritisch reflektiert werden als auch auf die Möglichkeiten einer nicht-reproduktiven Überschreitung hin untersucht werden soll. Neben Textlektüren (zum Genrebegriff) und Bild- und Textanalysen zählt auch das Herstellen eigener Bilder und Texte über den universitären Alltag zum methodischen Vorgehen, das gleichsam den Rahmen einer Ausstellung der studentischen Arbeiten bildet.
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Bilder der Universität
Die Universität ist, neben vielen anderen Dingen, ein Ort, der von Bildern und Selbstbildern lebt. Gebäude, Architekturen, Umgebungen, Personen, Funktionen und Praktiken werden in diesen (Selbst-)Bildern in Szene gesetzt und affektiv angereichert. Alle, die sich an Universitäten bewegen, auch diejenigen, die in diesen Bildern und Szenen abwesend sind, z. B. nicht-wissenschaftliche Angestellte oder Reinigungspersonal, tun dies mit diesen Bildern im Kopf, auch wenn sie nicht täglich ins Bewusstsein dringen. Mit Lauren Berlant lassen sich diese (Selbst-)Bilder als die Mediation eines geteilten Lebens verstehen, inklusive ihrer – immer noch zu wenig zufälligen – blinden Flecken (Berlant 2016: 403). Die infrastrukturelle Dimension der Universität (im engeren Sinne) wird in diesen Mediationen ausgeblendet. Verwaltungsangestellte, die die Kapazitäten für Studienplätze berechnen und/oder Budgetkürzungen auf kreative Weise umsetzen, sind in diesen Bildern nicht zu sehen. Die Praktiken und Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Personals erscheinen in diesen Bildern losgelöst von ihren infrastrukturellen Absicherungen. Auf ihrem Instagram-Kanal und einem universitätseigenen Blog, ↗ Vgl. https://blog.univie.ac.at/uni-...
an-der-uni-wien/ ↙ präsentiert die Universität Wien die »Lieblingsplätze« von Studierenden rund um das Universitätsgelände, die durch eine Umfrage ermittelt wurden. Unter der Überschrift »Wo können Studierende und Mitarbeiter:innen am besten chillen?« zeigen Fotos einen sonnendurchfluteten Arkadenhof (als »Top-Favorit«) mit Liegestühlen auf einer grünen, von Bäumen umrahmte Wiese und Studierenden im Gespräch oder lesend. Der Text zur Abbildung lautet:


»Hier euer absoluter Top-Favorit: der Arkadenhof im Hauptgebäude. Kein Wunder – in den warmen Monaten lockert die einzigartige Atmosphäre den Alltag auf und lädt zum Ausruhen und Verweilen ein. Außerdem bietet sich der architektonische Mittelpunkt des Hauptgebäudes für die Zeit an, die ihr zwischen Lehrveranstaltungen oder Meetings an der Uni verbringt. Die gemütlichen Liegestühle sind wohl das beste Aushängeschild für den besonderen Chill-Faktor. ↗ Auf die Liegestühle bzw. Doppelliegestühle im Arkadenhof wird mit einem eigenen Eintrag hingewiesen, woran sich ihre besondere Symbolkraft ablesen lässt: https://tinyurl.com/bd8j2cv3&n...; ↙ Wenn das Wetter einmal keinen Aufenthalt im Hof zulässt, könnt ihr bequem auf die Student Spaces im Hauptgebäude ausweichen! Der Arkadenhof ist manchmal auch Schauplatz von Veranstaltungen wie Buchmessen oder Konzerten. Im Café werdet ihr mit günstigen Getränken und Snacks bestens versorgt. Hier noch ein paar interessante Fakten zum Arkadenhof: In der Mitte befindet sich eine Statue der Hüterin der Weisheit Kastalia, und rund um den Hof finden sich einige Büsten berühmter Persönlichkeiten. Da kommt man aus dem Schauen gar nicht mehr heraus!« ↗ Die im
Arkadenhof angebrachten Büsten waren bis zum Jahr 2015 nicht nur ausschließlich männlich, sondern versammelten auch bekannte Antisemiten und Rassisten. Eine einzige Inschriftentafel erinnerte an die Dichterin und Ehrendoktorin Marie von Ebner-Eschenbach. 2005 wurde vorübergehend ein Denkmal für anonymisierte Wissenschaftlerinnen der Künstlerin Elisabeth Penker realisiert und im Jahr 2009 die permanente Installation »Der Muse reicht‹s« von Iris Andraschek zur Würdigung wissenschaftlicher Leistung von Frauen an der Universität Wien umgesetzt. Als Pilgerstätte für schlagende Burschenschaften wird die Gestaltung des Arkadenhofs in ihrer kolonial-patriarchalen Ausrichtung häufig zum Anlass von Kritik und künstlerischer Intervention. Vgl. hierzu u.a.Ingo Pohn-Lauggas (2006): »Der Siegi unterm Glassturz«, in: MALMOE, 35, Wien: Verein für mediale
Qualität und Vielfalt. ↙
Bequemlichkeit und Chill-Faktor sind die Begriffe, die sich einprägen, inklusive der Hoffnung, die auf der englischen Bezeichnung für studentische Räume liegt: Student
Space. Nice! ↗ Wer im alltäglichen Universitätsleben schon einmal mit der Bereitstellung sogenannter Student Spaces beschäftigt war, macht, wenig überraschend, hinsichtlich der institutionsinternen Prioritäten deutlich andere Erfahrungen als diejenigen, die in den Selbstdarstellungen festgehalten sind. ↙
Neben dem Arkadenhof wird auch der etwas weniger zentral liegende Campus der Universität (AKH) mit ähnlichen Abbildungen gezeigt und in einem Text präsentiert, der das studentische Leben zwischen Arbeit und »Chillen«
verortet:
»(D)er Campus der Universität Wien besticht mit seinen vielen Innenhöfen und Sitzmöglichkeiten. Perfekt für eine gesellige Runde sind auch die Lokale im Campus, wo ihr euch eine wohlverdiente Pause gönnen könnt. Die zahlreichen PC- und Seminarräume bieten euch die Möglichkeit, gemeinsam an Gruppenarbeiten zu feilen, zu lernen oder für Projekte zu brainstormen.«
Die Texte und Abbildungen sind suggestiv. Sie handeln von der Idylle eines sorglosen studentischen Lebens bei gutem Wetter. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sich solche Szenen am Universitätscampus nicht abspielen. Im Gegenteil: gerade weil mir diese Szenen im universitären Alltag, vor allem in ihrer spielfilmartigen oder an Campusromane ↗ Vgl. zuletzt: Wakker, Kim (2024): Der Frauenbeauftragte. Ein queerer Campus-Krimi, Berlin: Alexander Verlag. ↙ erinnernden Form häufig begegnen, bin ich auf sie aufmerksam geworden. Die beschriebenen Campusszenen sind sowohl »erfunden«, nachgeahmt, auf koloniale, vergeschlechtlichte und klassenspezifische Traditionen rekurrierend als auch gelebte alltägliche Praxis. ↗ Ich gehe hier nicht näher auf die Abbildungen von Hörsälen ein, in denen meist gut gelaunte Studierende mit strahlenden Gesichtern, angespitzten Bleistiften und aufgeklappten Laptops ambitioniert gestikulierenden Lehrenden zuhören. Eine alternative Bildstrecke aus der alltäglichen Erfahrung wäre möglicherweise eine aufschlussreiche Vergleichsfolie. ↙ Mit kritischer Theorie sind sie nur teilweise – und am besten im Hinblick auf den Abstand zwischen marktorientierter Werbelogik und alltäglicher Praxis – zu erschließen. Als Verweis auf das Studieren als Life Genre im Sinne Lauren Berlants, sind sie allerdings gerade in ihrer Alltäglichkeit und zugleich in ihrer Spielfilmnähe ↗ Das umfassende Genre US-amerikanischer High-School-Filme drängt sich hier noch stärker auf als Romane und Filme aus dem deutschsprachigen Raum. Vgl. z. B. American Pie (USA 1999–2020); American Graffiti (George Lucas, USA 1973); Dead Poets Society (Peter Weir, USA 1989); vgl. z. B. aus dem deutschsprachigen Raum die Literatur- und Bestseller-verfilmung von Dietrich Schwanitz’ Roman Der Campus (1995); Der Campus (Sönke Wortmann, D 1998). ↙ sowie in ihrer Ästhetik sozialer Medien relevant. Studieren und Student_in sein wird in diesen Szenen als ein Genre erkennbar, als Teil einer Assemblage von Diskursen, Affekten, Ästhetiken und alltäglichen Praktiken, die sich wechselseitig verstärken.
↗ Auch wenn hier der Fokus auf Studierenden liegt, gilt für Lehrende das Gleiche.↙
Life Genre
»Life Genres«, so Berlant, binden Affekte an etwas, das sich entfaltet, sei es im Leben oder in der Kunst (2008: 6–7). Sie organisieren nicht nur die Anforderungen und Intensitäten des Alltäglichen, sondern stellen auch eine Balance zwischen dem Dahingleiten durch die Zeit und dem Erforschen des Möglichen her (2008: 6–7). Fiktionale Genres und Genres des Lebens stehen dabei in enger Beziehung zueinander. So wie die affektiven Erwartungen von Kinobesucher_innen oder Romanleser_innen in Genres gebündelt werden, so gilt dies auch für die Genres des Lebens. Sexuelle, nationale Identitäten, Klassenzugehörigkeiten oder berufliche Tätigkeiten modulieren für einzelne eine Verbindung zur Welt, die auch die Verbindung und das Wiedererkennen von sich selbst miteinschließt. Als eine affektive Ansammlung von Versprechen, von Szenen des Fühlens und Spürens, die die Organisation des Alltäglichen ermöglichen, gestalten und konventionalisieren Genres auch das, worauf sich im Leben hoffen lässt: z. B. ein sozialer Aufstieg, oder das, was als Scheitern erfahren wird (vgl. Berlant 2024 [2012]). Die Konventionen der Genres haben eine ordnende und bestätigende Funktion im Hinblick auf die Konstitution eines fühlenden Subjekts, höhlen sie aber, und das macht den Begriff interessant, zugleich auch aus. Die Genres des Lebens mediatisieren am Subjekt das, was singulär und das, was generell ist (vgl. Berlant 2024 [2012]).
»To call an identity like a sexual identity a genre is to think about it as something repeated, detailed, and stretched while retaining its intelligibility, its capacity to remain readable or audible across the field of all its variations. For femininity to be a genre like an aesthetic one means that it is a structure of conventional expectation that people rely on to provide certain kinds of affective intensities and assurances.« (Berlant 2008: 8).
Anders ausgedrückt: Life Genres sichern eine konventionalisierte Erwartung der Selbst- und Welt-Kontinuität ab, die auch durch die Abweichungen von diesen Konventionen nicht unbedingt geschwächt, sondern durchaus gestärkt und belebt werden kann.
Universitärer Alltag als ästhetisches Genre
Die Ästhetik der Universitätsszenarien erinnert, wenn nicht an Spielfilme oder Campusromane, durchaus auch an Werbung und Wahlplakate. Im zunehmend ökonomisierten Wettbewerb der Universitäten haben sie eben diese Funktion (Vgl. Köhne: 2025, in Vorbereitung). Sie geben aber gerade nicht nur die Fantasien von Universitätsleitungen und Marketinginteressen wieder. Im begleitenden Text der Universität Wien wird vielmehr hervorgehoben, dass die Lieblingsplätze der Studierenden in einer Umfrage erhoben wurden, d.h. die Fantasien des guten studentischen Lebens werden in einer gewissen, wenn auch nicht vollständigen Übereinstimmung von Studierenden und Lehrenden geteilt. Arbeit und Freizeit wechseln sich in dieser Fantasie auf angenehme, überschaubare Weise ab, Leistung und Engagement wird mit »Chillen« belohnt. Unsicherheiten über eine nicht bestandene Prüfung oder Frustrationen über dysfunktionale studentische Arbeitsgruppen sind in diesen Szenarien ebenso abwesend wie weniger attraktive Standorte (mit maroden Infrastrukturen) der Universität Wien, die für viele Studierende und Lehrende dennoch alltäglich sind. Mit anderen Worten: Studieren als Genre verstanden erzählt von souveränen, entspannten und nicht zu vergessen: weißen ↗ Die Bilderpolitik der Freien Universität Berlin unterscheidet sich in diesem Punkt von jener der Universität Wien und setzt sehr viel stärker auf Diversität in ihren Selbstdarstellungen. Die Anzahl von nicht-weißen, non-binären, alleinerziehenden Studierenden mit oder ohne sichtbare körperliche Einschränkungen steht hier im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum universitären Alltag. ↙ Subjekten, die mit sich und der privilegierten Umgebung im Einklang sind, hoffnungsvoll einer Zukunft entgegensehen oder, noch besser, sich in der glücklichen Lage befinden, die Fragen der Zukunft ausblenden oder aufschieben zu können. Und dies gilt womöglich auch für Studierende und Lehrende, die an anderen, weniger zentralen Standorten ihren universitären Alltag verbringen.


Mir geht es hier nicht darum diese Bilder (als Illusion) zu ›entlarven‹ und einen angestrengten, durch bürokratische Hürden verunsichernden Universitätsalltag in renovierungsbedürftigen Seminarräumen dagegen zu stellen, der im Falle der Studierenden der Universität Wien oftmals mit gleichzeitiger Berufstätigkeit einhergeht und schon aus diesen Gründen weniger Zeit im Liegestuhl (oder der Bibliothek) zulässt und oftmals auch die Mitarbeit in studentischen Arbeitsgruppen erschwert. Was mich eher beschäftigt ist die Frage, in welcher Weise Studierende und Lehrende an diesen Bildern mitarbeiten, sie moderieren, bestärken oder herausfordern, bewusst oder unbeabsichtigt. Welche Relevanz und welche Funktion haben diese Bilder im Alltag derjenigen, die einen großen Anteil ihrer Arbeitszeit an diesen Orten verbringen?
Fiktion des Alltäglichen: Life Genres als Gegenstand der Film-und Medienwissenschaft
Aus der Sicht der Film- und Medienwissenschaft ist das Studieren als Life Genre, als eine alltägliche, performative Praxis ein dankbares und aufschlussreiches Thema. Es erlaubt das theoretische Denken im Hinblick auf den eigenen Alltag zu erproben und macht deutlich, dass Theorie, Fiktion und Leben viel miteinander zu tun haben. Ein Verständnis für diesen Zusammenhang zu erzeugen und zu vertiefen, zählt zu den wichtigsten Zielen meiner Lehrtätigkeit. Denn nicht zuletzt machen die Life Genres auch die Grenzverläufe zwischen der Reproduktion des Sozialen und den kurzfristigen Öffnungen für die nicht-reproduktiven Erweiterungen des Sozialen reflektierbar. Die Universität, mit Lauren Berlant verstanden als eine transformatorische Infrastruktur, hat aus meiner Sicht genau diese Aufgabe. Einblicke in die Genrehaftigkeit des eigenen Lebens zu vermitteln, erscheint mir eine notwendige Voraussetzung dafür, sich für nicht-reproduktive Szenarien zu öffnen oder sich auch nur dafür zu interessieren. Die vorgegebenen Rhythmen zur Leistungserbringung verknappen zwar die Möglichkeiten zur Erprobung des nicht-reproduktiven Denkens und Handelns, was dazu führt, dass manchmal nur noch besonders privilegierte Studierende die Kapazitäten, Geduld, Zeit und/oder Muße dafür aufbringen. Umso mehr sind Lehrende daher gefordert, die alltäglichen Gratwanderungen zwischen Bestätigungen und absichtsvollen Verunsicherungen des In-der-Welt-Seins zu thematisieren. Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit die Suche nach Semi-Souveränität nicht eher das Thema eines in den Strukturen der Institution stark abgesicherten Lehrpersonals ist, während Studierende (und auch weniger abgesicherte Lehrende) sich in ohnehin schon sich stark transformierenden Lebensabschnitten befinden?


Als ›Universitätsangehörige‹, die Noten für erbrachte oder nicht erbrachte Leistungen vergibt und u.a. in dieser Hinsicht die Universität als Institution in einer Weise vertritt, die mit den Liegestühlen im Arkadenhof nur bedingt zu tun hat, beschäftigt mich diese Frage in jedem Semester wieder neu: Wie lässt sich die theoretische Umarmung des Nicht-Souveränen und das nicht-reproduktive des Sozialen mit den disziplinierenden Regeln der Institution ins Verhältnis setzen? Insofern sich diese Spannungen und Unvereinbarkeiten – weder an der Universität noch im Leben außerhalb der Universität – überbrücken lassen, scheint mir die Aufgabe eher darin zu liegen, sie direkt zu adressieren. Zwar trifft dieses Gesprächsangebot nicht immer auf offene Ohren, weil die Zeit, die eine solche Beschäftigung benötigt, von Studierenden teilweise als für die Wissensaneignung ›verlorene‹ Zeit empfunden wird. ↗ Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass das Interesse an Auseinandersetzungen dieser Art seit der Corona-Pandemie wieder gestiegen ist. Statistisch belegt ist der höhere Bedarf an psychologischer Betreuung an Universitäten, dies könnte auch als ein Bedürfnis verstanden werden, den studentischen Alltag insgesamt stärker zum Thema zu machen. ↙ Möglicherweise sind es aber gerade auch Zumutungen dieser Art, die sich, dies wäre meine Hoffnung, auch in produktives Denken und/oder Handeln überführen lassen. Für eine anhaltende Befragung des ›Common Sense‹ der Universität sind sie jedenfalls hilfreich, wenn nicht sogar unumgänglich. Der eingangs zitierte Satz, der sich auf die Bewunderung der männlichen Büsten im Arkadenhof bezieht, »Da kommt man aus dem Schauen gar nicht mehr heraus!«, sollte sich also vielmehr auf die eigene alltägliche Praxis beziehen und zu einer Disziplin jenseits der Fachdisziplinen erhoben werden.
Sogenannte »innovative Lehrformate« können dabei helfen. Sie stellen allerdings ihrerseits eine institutionalisierte Form des »Schauens« oder auch »Staunens« dar, die dazu dient, das Studieren interessanter und kurzweiliger zu gestalten um die Studienzeit aus Kostengründen zu verkürzen. Budgetverknappung und Innovation schließen sich selbstverständlich nicht aus. Aber die Intensivierung der Motivation von Studierenden ist in diesen ökonomischen Kontext stets eingebettet. Lehrformate wie Welt Cafés u. Ä. garantieren daher nicht automatisch ein produktives Befragen des eigenen universitären Alltags, auch wenn sie hilfreich sein können, die Grenzen des akademischen Wissens auszudehnen.
Lehre als transformatorische Infrastruktur zu begreifen würde bedeuten an den eingangs thematisierten Bildern zu arbeiten, sie auf die generativen und zerstörerischen Kräfte hin zu befragen ↗ »Institutions generate the positivity of attachment and protocol even while destroying the livelihood of the attached lives.« (Berlant 2016: 403). Wenn dies auch für die Universität als Institution gilt, so gilt es, diese Grenzverläufe auch im universitären Kontext zu studieren. ↙und – dies scheint mir besonders notwendig – sie zu durchkreuzen und zu vervielfältigen. Mir ist es daher ein Anliegen, Anlässe, und das heißt auch Diskussionsanlässe zu kreieren, die es erlauben, neue und andere Bilder des Studierens herzustellen. Und nicht selten passieren die nicht-reproduktiven Arten des sozialen Worldings (Berlant 2016: 403) auch in unvorhergesehenen und ungeplanten Momenten. Mindestens so wichtig wie innovative Lehrformate erscheint mir daher der zunehmend verknappte Faktor Zeit. Wenn Infrastrukturen Reziprozitäten organisieren und darin transformativ und befragbar bleiben sollen, wird von allen Beteiligten Zeit beansprucht. Als Lehrende bin ich damit beschäftigt, Berlants Unterscheidung zwischen Institution und Infrastruktur täglich neu zu justieren:
»Institutions enclose and congeal power and interest and represent their legitimacy in the way they represent something reliable in the social, a predictability on which the social relies. Institutions norm reciprocity. What constitutes infrastructure in contrast are the patterns, habits, norms, and scenes of assemblage and use. Collec-tive affect gets attached to it too, to the sense of its inventiveness and promise of dynamic reciprocity.« (Berlant 2016: 403).
Um das Transformative der universitären Infrastruktur zu erhalten, scheint es am wichtigsten, die Universität ganz im Sinne der Life Genres zu einem unpersönlichen Ort zu machen. Das Nachdenken über die Bilder und Szenarien eines geteilten universitären Alltags könnte dafür ein Anfang sein. Kollektive Affekte in Bewegung zu bringen, von denen Einzelne in einem ganz offenen, nicht neoliberalen Sinne profitieren können, erscheint mir als eine der wichtigsten Herausforderungen in der Lehre und nicht zuletzt eine maximale Gegenbewegung zu einer alltäglichen Praxis, in der etwa kollektive Leistungen und kollektives Scheitern weitgehend individualisiert werden. Die Universität zu einem unpersönlichen Ort werden zu lassen bedeutet nicht, die Anonymität einer Massenuniversität zu umarmen. Eher geht es dabei um eine (oftmals und leider nur punktuelle) Entlastung von Individualisierungszumutungen, die insbesondere mit der Massenuniversität einher gehen, sich in Pandemie-Zeiten aber auch an kleineren Hochschulen abgezeichnet haben. ↗ Studierende sprechen in Sprechstunden zunehmend über ihre Einsamkeitserfahrungen während der Pandemiezeit, die in vielen Fällen auch die allgemeinen Studienbedingungen stärker ins Bewusstsein geholt hat. ↙
Die Auseinandersetzung mit kolonialen Verhältnissen, Geschlechter- und Klassenfragen sowie anderen Formen genrehafter Sozialitäten und Identitäten gehört zu den unumgänglichen Voraussetzungen dieses Projekts einer ›unpersönlichen Universität‹, in der das Soziale, was die Universität versammelt, nicht nur auf Ausschlüsse hin untersucht, sondern stets neu kartographiert werden muss. Dies gilt umso mehr in Zeiten, in denen die transformativen Potentiale der Universität schwerwiegenden politischen und ökonomischen Angriffen ausgesetzt sind. Auch die widrigen universitätsinternen Umstände, wie etwa Personalknappheit, die Ziele und Anstrengungen dieser Art erschweren oder gar nicht (mehr) zulassen, sind Teil dieses Szenarios. Ebenso, wie es sich außerhalb der Universität auch verhält. Immerhin eine Kontinuität, die sich einüben lässt im Verlauf eines Studiums: transformatorische infrastrukturelle Ziele müssen innerhalb und außerhalb der Universität immer wieder angepasst und neu erfunden werden.
Literatur
Berlant, Lauren (2024) [2012]:
Grausamer Optimismus, Berlin: b_books.
Berlant, Lauren (2008):
The Female Complaint. The Unfinished Business of Sentimentality in American Culture, Durham NC: Duke University Press.
Berlant, Lauren (2016):
»The Commons: Infrastructures for
Troubling Times, Environment and Planning D«, in: Society and Space, Vol 34, 3, S. 393–419.
Köhne, Julia B. (2025, in Vorbereitung):
Exzellenzträume der Wissenschaft.
Explorationen kritischer Exzellenz-forschung, Berlin: Kadmos.
Pohn-Lauggas, Ingo (2006):
»Der Siegi unterm Glassturz«, in: MALMOE, 35, Wien: Verein für mediale Qualität und Vielfalt, https://homepage.univie.ac.at/..., abgerufen am 04.03.2025.
Abbildungen
Abbildung 1: https://blog.univie.ac.at/uni-..., abgerufen am 13.11.2024.
Abbildung 2: https://blog.univie.ac.at/uni-..., abgerufen am 13.11.2024.
Abbildung 3: Sex Education: Staffel 4, Episode 2, TC: 17:30.
Abbildung 4: Sex Education: Staffel 3, Episode 2, TC: 17:08.
Abbildung 5: https://blog.univie.ac.at/uni-..., abgerufen am 13.11.2024.
Abbildung 6: https://blog.univie.ac.at/uni-..., abgerufen am 13.11.2024.