Vorbemerkung
↘
WATER IS ALIVE
»As the sea becomes breathless and warm, as rivers no longer make it to this sea, as drinking water is commodifiedand the sea bed is mined, as all of the multitudes of life forms that depend o these waters are made increasingly precarious what would understanding ourselves as bodies of water change about how we care for other bodies, and other waters?« (Neimanis 2020)
Wie nehmen wir Wasser innerhalb und außerhalb
unseres Körpers wahr?
Was ändert sich an der Erfahrung, wenn wir eine
andere Position einnehmen oder mit dem Wasser interagieren?
Wie werden wir dabei wahrgenommen?
Zusammenfassung
Die Übung wird in Zweierteams durchgeführt. Es geht um das aktive Erfahren des Wassers in unserem Körper und innerhalb eines ausgewählten Umfelds, am besten mit Zugang zum Wasser. Durch die Anwesenheit und Aufmerksamkeit einer zweiten Person wird eine weitere Beobachtungsebene eingeführt. Sie bezeugt den Prozess.
Zeit: 15 Minuten pro Person (Wechsel ohne Pause) +
10 Minuten Nachbesprechung
Ort: In der Nähe eines Wasserkörpers im Außenraum.
1. Bildet Zweierpaare.
2. Eine Person beobachtet und die andere Person bezeugt.
↪
Als beobachtende Person schenkst du dem Wasser im eigenen Körper und in der Umgebung aktiv Aufmerksamkeit. Erkunde mit allen Sinnen. Wo siehst du Wasser? Wo kannst du es fühlen, riechen und in Kontakt treten? Welche Beziehung kannst du mit deinen Sinnen mit dem Wasser aufbauen? Fokussiere dich zwischendurch immer wieder auf die verkörperte Dimension des Wassers: Werde dir bewusst,
auf welche Weise das Wasser Teil von dir ist und wie Flüssigkeiten in deinem Körper zirkulieren.
↪
Als Zeug:in begleitest du die beobachtende
Person mit Distanz und schaust ohne Bewertung zu, wie sie die Umgebung erkundet.
3. Nach 15 Minuten tauscht ihr die Rollen.
Die bezeugende Person achtet auf die Zeit und
sagt den Wechsel an.
4. Zuletzt tauscht ihr euch über eure Erfahrungen aus. Habt ihr Veränderungen in eurer Wahrnehmung und Beziehung zu innerem und äußerem Wasser bemerkt?
↘
Eine Methode verfolgt einen bestimmten Weg, der meistens mit einem Erkenntnisinteresse verbunden ist. Wohin führt uns der Weg des Wassers? Wie verändert sich die Perspektive, wenn wir mit dem Wasser erfahren, wissen und etwas über die Welt (ver)lernen?
Doch zunächst: Warum gerade mit Wasser? Vielleicht, weil es gar nicht ohne geht. Nicht nur in Bezug auf die Materie – ein Beispiel: der menschliche Körper besteht zu ungefähr 70 % aus Wasser, das Gehirn sogar zu 80 % – es stellt nicht nur sicher, dass unsere Synapsen schießen, sondern durchdringt auch das gesamte soziale, kulturelle und ökonomische Gefüge einer Gesellschaft (Linton/Budds 2014). Mythen ranken sich um die Beziehung zum Wasser. Wirtschaftliche und politische Macht hängt vom Zugang zu Flüssen und Ozeanen ab (Strang 2019; 2023). Ohne Wasser gäbe es auch keine Mikrochips in unseren Devices, es können keine Gebäude gebaut oder Schulen betrieben werden. Der indirekte Wasserverbrauch einer in Deutschland lebenden Person liegt bei gut 7.200 Liter pro Tag (Wilke 2022). Wasser ist ein hydrosozialer und materieller Tatbestand, dessen Verfügbarkeit als selbstverständlich angenommen wird.
Welche Bedeutung Wasser in einer Kultur hat, wird unter anderem davon beeinflusst, welche Erfahrungen wir im Alltag mit Wasser machen. Dies hängt wiederum eng mit den Infrastrukturen des modernen Wassermanagements zusammen. Der Geologe Jamie Linton legt dar, wie die aufkommende Hydrologie im 19. Jahrhundert Wasser auf eine chemische Formel reduzierte und von allen Beziehungen im lokalen Ökosystem abstrahierte (Linton 2010). Durch die Reduktion auf abstrakte Formeln verbreitete sich die Idee von Wasser als eine quantifizierbare Größe, die mittels Dämmen, Kanälen, Pumpen und Rohren kontrolliert werden kann. Doch was sich theoretisch zu einer Verbindung von Wasser- und Sauerstoff herunterbrechen lässt, ist außerhalb des Labors facettenreich. Je nach Kontext vermischt es sich mit Partikeln, Mineralien, Chemikalien und Sedimenten. Wasser ist niemals nur H2O (Linton 2010: 14). Zum unbelebten Rohstoff oder Störstoff reduziert, werden ökologische Komplexität und Interdependenzen in den ›Hintergrund‹ gedrängt und verleugnet. Die Ökofeministin Val Plumwood hat dafür den Begriff »backgrounding« (Plumwood 1993: 21)
geprägt. Infrastrukturen erfüllen beim backgrounding eine entscheidende Funktion, da sie ganze Ökosysteme in neue zweckrationale Strukturen zwängen und dienstbar machen. Sie haben aber auch eine kommunikative Funktion. Als »concrete semiotic and aesthetic vehicles« (Larkin 2013: 329) vermitteln sie kulturelle Narrative. Das dominante Narrativ der Hydrologie ist das der uneingeschränkten Kontrolle und Verfügbarkeit von Wasser. Sie macht wässrige Beziehungen zu etwas Beiläufigem: Wasser erscheint uns als klarer Strahl aus dem Rohr oder verschwindet als Abwasser im Kanal, ohne dass wir ihm Aufmerksamkeit schenken müssen.
Den kritischen Blick auf dieses zweckrationale Verständnis nimmt der Text zum Ausgang, um über die dringend notwendige Transformation der Mensch-Wasser-Beziehung und darüber hinaus über die epistemologischen Dimensionen dieser wässrigen Beziehungen nachzudenken. Dies war eines der Anliegen des Recherche- und Ausstellungsprojekts Fluid Circulations – Hydrofeministische Erkundungen postindus-trieller Landschaften. Das Projekt brachte acht Künstler-innen und Kuratorinnen ↗ Die Gruppe bestand aus den Künstler:innen Maria Lucia Cruz Correia, SU Yu Hsin, Margarida Mendes, Marta Niedbał, Nina Paszkowski, Vanja Smiljanić, ZAKOLE Group und der Autorin. Die Ausstellungsarchitektur gestaltete Diane Hillebrand. ↙ zusammen, um die Wasserkörper einer seit Jahrhunderten durch den Abbau von Braun- und Steinkohle geprägten Regionen Rheinland und Ruhrgebiet aus einer verkörperten Perspektive zu erforschen. Fluid Circulations startete im Oktober 2022 mit einer viertägigen Feldrecherche entlang der Ewigkeitsaufgaben des Nachbergbaus – Wasserwiederaufbereitungsanlagen, Polder und Einleitstellen – sowie der Wasserinfrastrukturen des Braunkohleabbaus.
↗ Zunächst gab uns Dr. Bastian Reker vom Forschungszentrum Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola eine technische Einführung in die Grubenwasserhaltung. An der Halde Norddeutschland trafen wir den Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Linksniederrheinische Entwässerungs-Genossenschaft (LINEG) Ingo Plaschke, sowie die Geschäftsbereichsleiterin Wasserwirtschaft, Gesa Amstutz. Hier wird saures Haldenwasser in einer Freiluftanlage natürlich aufbereitet. Wir besichtigten Pumpanlagen, die verhindern, dass Wasserläufe ihre Fließrichtung ändern, als Teil der sogenannten Poldermaßnahmen. Zudem besuchten wir Stellen, an denen das Grubenwasser, das sich in den ehemaligen Steinkohleminen sammelt, heraus gepumpt und in den Rhein eingeleitet wird. Ulrich Behrens vom Landesverband Bergbaubetroffener NRW e. V. erklärte an der Grubenwassereinleitstelle in Walsum-Orsoy, welche Probleme die ungefilterte Grubenwasserentsorgung in den Rhein mit sich bringt. Und zuletzt verbrachten wir einen Nachmittag im Rheinland und besuchten den Tagebau Hambach, aus dessen Sümpfungswasser viele Gewässer in der Umgebung gespeist werden, wie beispielsweise der künstliche Tagebaurestsee «Peringsmaar«, die Erft und der Gillbach. ↙ Es folgten Online-Vorträge, interne Arbeitstreffen und eine gemeinsam konzipierte Ausstellung im März 2023, die neue künstlerische Arbeiten inspiriert von den Erfahrungen im Feld zeigte.

Am Anfang stand die Erfahrbarkeit des Wassers auf einer persönlichen und körperlichen Ebene. Unsere Fragestellung lautete zum einen, auf welche Art wir Wasser verkörpern, zum anderen, in welcher Beziehung wir allgemein zum Wasser und speziell zu den Gewässern der Region stehen. Indem wir die Aufmerksamkeit auf die Zirkulationen in und um uns herum zum Ausgangspunkt machten, wollten wir etwas über die flüssigen Austauschbeziehungen zwischen unseren Körpern und der mehr-als-menschlichen Mitwelt erfahren. Dafür konzipierten Nina Paszkowski und Marta Niedbał die Wahrnehmungsübung Water is alive. Die Übung zielte auf eine Intensivierung der »arts of noticing« (Tsing 2015: 37), hier durch konzentrierte Betrachtung, Verlangsamung und den Akt des Bezeugens, um Wasser als Teil einer verkörperten Realität näherzukommen.
Womit wir beim Hydrofeminismus wären: Unser Vorgehen wurde inspiriert vom Denken, Schreiben und den Methoden der feministischen Philosophin Astrida Neimanis
(Neimanis 2012, 2017b). Neimanis verfolgt einen phänomenologischen Ansatz. Sie schlägt vor, die Theorie durch den Sinnesapparat des Körpers zu erfahren und so Zugang zu einer gelebten und verkörperten Materialität zu bekommen. Auf den Spuren der Materialität folgt sie dem Wasser und setzt bei den wässrigen Wechselwirkungen zwischen menschlichen Körpern und mehr-als-menschlicher Materie an. In Bezug auf die materiellen Austauschprozesse zwischen den Körpern hat Stacy Alaimo den Begriff der »Transkorporalität« (Alaimo 2010) geprägt. Eine transkorporale Perspektive legt nahe, dass die materiellen Grenzen zwischen Selbst und Welt, Natur und Kultur durchlässig und miteinander verbunden sind. Der menschliche Körper ist so gesehen eine »literal contact zone between human and more-than-human nature« (Alaimo 2010: 2, zitiert in Neimanis 2017b: 33). Er erscheint als porös, undicht. Die phänomenologische Dimension ergibt sich durch eine sehr genaue Beobachtung und Beschreibung dieser Interdependenzen und der täglichen gemeinsamen Verkörperung. Diese Perspektive lässt sich als posthumanistisch bezeichnen, nicht nur, weil sie den materiellen
Austauschprozessen Aufmerksamkeit schenkt, sondern auch, weil sie die Wirkmächtigkeit (agency) der Materie ernst nimmt und damit den menschlichen Exzeptionalismus in Frage stellt.
Von einer aktiven agency der Materie auszugehen und sich der Erfahrung materieller Interaktionen aus der phänomenologischen Perspektive zu nähern, hat epistemologische Konsequenzen. Wissen mit Wasser stellt die hie-rarchische Trennung zwischen Wasser und Mensch und damit die erkenntnistheoretische Vorherrschaft des Menschen in Frage: »if we understand non-human matter as agential, then we must also give up on epistemological
mastery.« (Neimanis 2018: 243). Dies leitet Neimanis
auch aus den Eigenschaften ab, die sie dem Wasser zuschreibt. Inspiriert von dem ständigen Prozess der Neuformatierung hat Neimanis in ihrem Essay »Water and Knowledge« verschiedene Hydro-Logiken herausgearbeitet: die Fähigkeit, Leben zu spenden (gestationality), andere Materie aufzulösen (dissolution), Informa-tionen zu übermitteln (communication), Dinge und Stoffe zu transportieren (to conduit), zu formen (to sculptor), Rückstände zu speichern (to archive) sowie Körper voneinander abzugrenzen und Unterscheidung zu ermöglichen (differentiation). Dies alles sind Formen des Wasser zu wissen und Wissen hervorzubringen (Neimanis 2017a). Zentral ist für sie die Beobachtung, dass Wasser aufgrund seiner unzähligen Erscheinungsformen niemals vollständig zu kontrollieren und zu bestimmen ist. Es bleibt zu einem gewissen Grad unkenntlich (unknow-ability) und unterläuft das westlich-modernistische Streben nach Beherrschung. Mit ihrer hydrophilosophischen Denkpraxis leistet sie einen Beitrag zur feministischen Erkenntnistheorie. Anstelle des Paradigmas der Disziplinierung schlägt sie vor, Erkenntnismethoden in Ko-Laboration mit dem Wasser zu entwickeln, die den eigenen Standpunkt einbeziehen und von verkörperter Erfahrung und intentionaler Aufmerksamkeit für die Umgebung ausgehen. Aus einer feminstisch-materialistischen Perspektive ist der Akt des »paying attention« (Tsing 2015) wiederum Grundlage für »response-ability« (Haraway 2008, 2016), übersetzt als die Fähigkeit und Bereitschaft, auf andere Lebewesen und die Umwelt aufmerksam zu reagieren und dem Kontext angemessen zu antworten. Katharina Hoppe hat dies als »post-anthropozentrische Ethik der Antwort« bezeichnet (Hoppe 2019: 264).
Aufmerksamkeit für den Kontext setzt zudem voraus, den Plural »wir« nicht zu verallgemeinern und zu entpolitisieren, sondern die – wie Adrienne Rich es nannte – »Politiken der Verortung« im Hinterkopf zu behalten (Rich 1986, Neimanis 2017: 25). Körper, die Wissen generieren, sind immer situierte Körper, in die sich gesellschaftliche Kontexte und Kategorien, wie race, Klasse und Gender, Sexualität, Geschichte und Geopolitik einschreiben. Das gilt auch für das Verhältnis zum Wasser, beispielsweise was den konkreten Austausch von Flüssigkeiten angeht. Unsere Verortung nimmt Einfluss darauf, welche Qualität dieser Austausch hat, ob genug Austausch stattfinden kann, ob er von Extremen geprägt ist oder auch, wie toxisch dieser Austausch ist. Wässrige Beziehungen sind eingebunden in gesellschaftliche Machtverhältnisse.
Doch wie genau lassen sich methodische Zugänge zu
mehr-als-menschlichen, verkörperten Erfahrungen und Wissensproduktion herstellen? Wie lassen sie sich auf eine Weise verstärken und beschreiben, dass sie greifbar werden? (Neimanis 2017: 49) Welche Art der Vermittlung setzt dies voraus? Neimanis schlägt drei Ansätze vor: verkörperte Aufmerksamkeit (embodied attunement/body hermeneutics), Geschichtenerzählen (Proxy Stories) und die Nutzung von wissenschaftlichen Technologien und Medien (stretching sensory perception) (Neimanis 2017: 53–58).
Alle drei Ansätze fanden Eingang in das Projekt Fluid
Circulations. Am ersten Tag der gemeinsamen Erkundung, diente uns die Übung Water is Alive dazu, unsere Aufmerksamkeit bewusst auszurichten. Die Übung führten wir während der Besichtigung eines ›Restsees‹ in einer Bergbaufolgelandschaft nicht weit von Köln durch. Sie diente als Ausgangspunkt, um uns den anthropogen überformten Gewässern und ihren Infrastrukturen anzunähern. Vor 50 Jahren stand hier der Bethlehemer Wald und das Grundwasser reichte an einigen Stellen so hoch, dass es an die Oberfläche trat und Bachläufe bildete. Nachdem die Bagger der Firma Rheinbraun (heute RWE) eine Schneise in die Landschaft gefräst hatten, waren Wald und Bäche in der Tagebaugrube verschwunden. Die Landschaft wurde in den 90er Jahren rekultiviert und es entstand ein neuer See, das Peringsmaar. Es wird aus dem Sümpfungswasser des Tagebau Hambach gespeist. Über 1500 Pumpen und 1000 km Rohrleitung setzt RWE ein, um jährlich über 500 Kubikmeter Grundwasser abzupumpen und den Tagebau trocken zu halten. Der Bergbau hat über Jahrzehnte in die Hydrogeologie der Region eingegriffen. Der Wasserspiegel ist aufgrund der Sümpfungsmaßnahmen bis zu 500 Meter gefallen. Ein Großteil der Feuchtgebiete und Bäche haben den Anschluss an das Grundwasser verloren und müssen künstlich am Leben gehalten werden. Der ›Störstoff‹ wird in den Bergbaufolgelandschaften verkippt. Auch das Peringsmaar hängt wie bereits erwähnt am Tropf der Wasserinfrastruktur des Konzerns, doch das ist mit bloßem Auge nicht zu fassen, da die Rohre und Pumpen größtenteils unterirdisch verlaufen. »Infra« bedeutet im Lateinischen »unter« bzw. »unterhalb«. Dies verweist nicht nur auf ihre Verortung, sondern auch auf ihren Modus Operandi. Infrastrukturen haben oft einen transitiven Charakter. Sie funktionieren im Hintergrund, um etwas anderes zu ermöglichen, in diesem Fall die ökologische Reproduktion des Sees und der Vegetation (Bollig/Krause 2023: 69). Sie stellen daher einen unverzichtbaren Teil dieses aus menschlichen, technologischen und mehr-als-menschlichen Elementen zusammengesetzten Ortes dar. Es wird deutlich, dass die Dichotomie zwischen Natur und Kultur nicht aufrechtzuerhalten ist. Es handelt sich um eine durch die »Verflechtung sozialer, semio-tischer und materieller Beziehungen« geformte Landschaft (Bollig/Krause: 55).
Wie einige vor ihnen weisen auch Michael Bollig und Franz Krause darauf hin, dass wir Infrastrukturen oft erst dann registrieren, wenn es zu technischen oder politischen Störungen kommt und ihr Betrieb nicht mehr gewährleistet wird (2023: 68). Was passiert mit der Landschaft rund um das Abbaugebiet, wenn die Pumpen nach dem Kohleausstieg abgestellt werden? Eine Frage, die noch viel zu zaghaft in der Öffentlichkeit diskutiert wird, wahrscheinlich, weil ihre materielle auch eine politische Unsichtbarkeit erzeugt.



»As life-enhancing entanglements disappear from our landscapes, ghosts take their place«, schreiben die Autor:innen von »Arts of Living on a Damaged Planet« in der Einleitung der Anthologie (Tsing et al., 2017: G4). Auch den Infrastrukturen von RWE haftet etwas Geisterhaftes an, zumindest entfalten sie ihre Wirkmächtigkeit als Teil eines »ghostly entanglements« (Tsing et al.: G5). Wie können wir diese unsichtbare Präsenz in die verkörperte Erfahrung infrastrukturierter Wasserkörper einbeziehen?
Der leicht abschüssige Weg führt uns durch einen jungen Erlenwald, bis hin zu einer schmalen, sandigen Bucht. Schweigend versuchten wir, die Spuren der geo- und hydrologischen Transformation zu erfassen. Von dem Gedanken, dass hier in den 80er Jahren noch ein Loch klaffte, geht etwas Beunruhigendes aus. Die muldenförmige Topografie erinnert daran. Unten angekommen, liegt das Wasser spiegelglatt vor uns. Wir bilden Paare und beginnen mit der Übung. Im Anschluss teilen wir persönliche Eindrücke. In der Gruppe überwiegt die Anziehungskraft, die der See trotz des Moments der Beklemmung auf uns ausübt. Wir beschließen, direkten Kontakt mit dem Wasser zu suchen. Einige tauchen komplett unter, andere zieht es nur bis zu den Knien hinein. Später finden wir heraus, dass das Schwimmen hier eigentlich verboten ist, weil der See eine hohe Phosphatbelastung aufweist. Die Anreicherung ist ein typischer Nebeneffekt des hohen Metallgehalts in Restseen. Die saure Hydrochemie des Sees ist durch unsere Poren eingedrungen, genauso wie wir Rückstände im See hinterlassen haben. Mit den Salzen und Metallen, die durch die Poren in unser Körpersystem eintreten, kommen wir in verkörperten Kontakt mit der Geschichte der fossilen Ausbeutung. Ohne es zu merken, unternehmen wir eine molekulare Zeitreise. Michelle Murphy nennt dies »alterlife« (2017). Alterlife meint das Leben in einer von den toxischen Erzeugnissen der kolonialen Moderne durchdrungenen Welt. Der Porosität nachzugehen »requires bursting open categories of organism, individual, and body to acknowledge a shared, entangling, and extensive condition of being with capitalism and its racist colonial manifestations. It asks that we situate life as a kind of varied enmeshment and enfleshment in infrastructures—as well as in water as a distributed being.« (Murphy 2017: 498).
Unseren Körper als verteilte, verflochtene und verflüssigte Assemblage aus Wasser und Infrastrukturen zu imaginieren, ist auch Motiv einer Meditation, mit der wir den Nachmittag am Peringsmaar abschließen. Wir folgen einer spekulativen Fließbewegung entlang zeitlich und räumlich ausgedehnter Wasserkreisläufe: Vom Mikrokosmos unserer zellulären Flüssigkeiten, durch die porösen Membranen des Körpers, hinab in die schrumpfenden Grundwasserkörper unter den Braunkohleabbaugebieten, durch Brunnen, Rohre und Pumpen hinauf in die Vorfluter, Erft und Rhein bis in den Atlantik, und als Verdunstung hinauf in die Wolkenbänder der Westwindzirkulation, welche das europäische Festland in immer extremeren Rhythmen mit Niederschlag versorgt. Diese Proxy Story leitet zur letzten Station unserer Feldrecherche über, dem Tagebau Hambach, in dessen aufbereiteten Sümpfungswasser wir gerade noch geschwommen sind. Auf dem Weg dorthin zählen wir die Motorpumpen auf den Feldern. Wir atmen die staubige Luft und wischen uns die Augen. Eine weitere Stunde verbringen wir beobachtend und horchend an der Böschung des Tagebaus, um die Leere des Lochs zu erfassen. Kameras, Mikrophone, Zeichen- und Notizblöcke sind Werkzeuge, um das Szenario zu verarbeiten. Eindrücke von künstlichen Gewässern, klaffenden Löchern, Geschichten von verschwunden Quellen und kilometerlangen Rohrleitungen, Phosphatmolekülen, Salz und Staub übersetzen sich in Fotos, Videoschnipsel, Zeichnungen, Notizen, Gedichte und improvisierte Skulpturen.
Die Ausstellung, die fünf Monate später eröffnet, ist ein Kunst gewordener Ausdruck dieser körperlich-sinnlichen Erfahrungen von (fehlenden) Gewässern und (un)sichtbaren Infrastrukturen. In ihnen verdichtet und materialisiert sich ein Körperwissen, das von dem Austausch mit den Gewässern des Rheinischen Reviers geformt wurde.
Literatur
Alaimo, Stacy (2010):
Bodily Natures: Science, Environment, and the Material Self, Bloomington:
Indiana University Press.
Bollig, Michael/Krause, Franz (2023):
Environmental Anthropology: Current Issues and Fields of Engagement,
Bern: Haupt Verlag.
Haraway, Donna (2008):
When species meet, Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Haraway, Donna (2016):
Das Manifest für Gefährten. Wenn Spezies sich begegnen. Hunde, Menschen und signifikante Andersheit, Berlin: Merve.
Hoppe, Katharina (2024):
»Das ›Prinzip Antworten‹: Eine postapokalyptische Theorie der Verantwortung für das Anthropozän«, in: Berliner Journal für Soziologie, Vol. 34, Nr. 2, S. 249–73.
Larkin, Brian (2013):
»The Politics and Poetics of Infrastructure«, in: Annual Review of Anthropology, Vol. 42, Nr. 1, S. 327–43.
Linton, Jamie (2017):
What Is Water? The History of a Modern Abstraction, Chicago: UBC Press.
Linton, Jamie/Budds, Jessica (2014):
»The Hydrosocial Cycle: Defining and Mobilizing a Relational-Dialectical Approach to Water«, in: Geoforum, Vol. 57, S. 170–80.
Murphy, Michelle (2017):
»Alterlife and Decolonial Chemical Relations«, in: Cultural Anthropology, Vol. 32, Nr. 4, S. 494–503.
Neimanis, Astrida (2012):
»Hydrofeminism: Or, On Becoming
a Body of Water«, in: Henriette Gunkel /Chrysanthi Nigianni / Fanny Söderbäck (Hg.), Undutiful daughters: new directions in feminist thought and practice, Palgrave Macmillan, S. 85–100.
Neimanis, Astrida (2017a):
Bodies of Water: Posthuman Feminist Phenomenology, London/New York: Bloomsbury.
Neimanis, Astrida (2017b):
»Water and Knowledge«, in: Dorothy Christian/Rita Wong (Hg.), Downstream: Reimagining Water, Waterloo: Wilfrid Laurier University Press, S. 51–68.
Neimanis, Astrida (2018):
»Material Feminisms«, in: Rosi Braidotti/Maria Hlavajova (Hg.), Posthuman
Glossary. Theory Series, London: Bloomsbury.
Neimanis, Astrida (2020):
»We Are All at Sea«, RIBOCA, YouTube, https://www.youtube.com/watch?..., abgerufen
am 24.06.2024.
Plumwood, Val (1993):
Feminism and the Mastery of Nature, London: Routledge.
Rich, Adrienne (1986):
»Notes towards a Politics of Location«,
in ders. (Hg.), Blood, Bread and Poetry, New York: Norton, 1986.
Strang, Veronica (2019):
»Water«, in: Felix Stein et al.: Cambridge Encyclopedia of Anthropology, https:/www.anthroencyclopedia.com/entry/water, abgerufen am 24.06.2024.
Strang, Veronica (2023):
Water Beings: From Nature Worship
to the Environmental Crisis, London: Reaktion Books.
Tsing, Anna Lowenhaupt (2015):
The Mushroom at the End of the World:
On the Possibility of Life in Capitalist Ruins, Princeton: Princeton University Press.
Tsing, Anna Lowenhaupt/Bubandt, Nils/Gan, Elaine/Swanson, Heather Anne (2017): Arts of Living on a Damaged Planet: Ghosts and Monsters of the Anthropocene, Minnesota: University of Minnesota Press.
Wilke, Sibylle (2022):
»Wassernutzung privater Haushalte«, Umweltbundesamt vom 14.10.2022, https://www.umweltbundesamt.de..., abgerufen am 24.06.2024.
Abbildungen
Abbildung 1: Fluid Circulations 2023,
Installationsansicht, Foto: liebschuh.
Abbildung 2: Fluid Circulations 2022,
Foto: Nada Rosa Schroer.
Abbildung 3: Fluid Circulations 2022,
Foto: Nada Rosa Schroer.
Abbildung 4: Fluid Circulations 2022,
Foto: Nada Rosa Schroer.