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Arpana Aischa Berndt und Maja Bogojević, Trainer*innenDie Sternchen-Schreibweise wird verwendet, um Menschen mit nicht-binären
Gender-Identitäten mit einzubeziehen (AG Feministisch Sprachhandeln 2014: 22f.).
von How to be an Ally mit Julia Bee und Gerko Egert
Das Gespräch fand einige Wochen nach dem von Arpana
und Maja durchgeführten Workshop statt.
[ Julia Bee ] In unserem Buch geht es ja unter ande-
rem darum, wie Techniken aus dem Aktivismus an die
Hochschule kommen. Dabei sehen wir auch ganz klar
das Problem der Aneignung. Als community Trainerin-
nen und Aktivistinnen habt ihr ein teaching Format ent-
wickelt, welches uns sehr interessiert: ein how to Format.
Ihr macht dabei ja keine reine Hochschullehre, sondern
arbeitet in einem Zwischenbereich von politischer Bil-
dungsarbeit und Aktivismus. Es wäre schön, wenn wir
darüber sprechen könnten und auch über die Proble-
me und Fallstricke von aktivistischen Formaten an der
Hochschule. Wenn man Techniken, die nicht an der
Universität entstanden sind, an diese holt – Stichwort
Aneignung und Institutionalisierung. Was ist euer Kon-
zept und wie ist es entstanden?
[ Arpana Aischa Berndt ] Der Workshop ist aus zwei Situationen,
die im Uni Kontext stattgefunden haben, entstanden.
Das ist spannend, weil wir nun mit dem Workshop in
Uni Kontexte zurückkommen. In einer der Situationen
hat ein Professor in einer Vorlesung eine rassistische
Fremdbezeichnung benutzt, um einen histori-
schen Text wiederzugeben. Das passiert oft in
Vorlesungen und Seminaren. Ich hatte daraufhin das
Bedürfnis, dass wir in der Vorlesung darüber reden,
warum wir diese Bezeichnung unhinterfragt verwen-
den müssen. Es ist schwierig Rassismus in mehrheit-
lich weißen Weiß wird kursiv geschrieben, um deutlich zu machen, dass es
sich um eine politische Beschreibung und nicht um eine Farbbezeichnung handelt
(Ogette 2018: 14. Räumen anzusprechen. Deshalb habe ich
einer Freundin, die hinter mir saß, geschrieben, dass
ich ihre Unterstützung brauche. Ich wollte nicht die ein-
zige sein, die Rassismus anspricht, weil schnell behaup-
tet wird, es wäre mein persönliches Problem und das
lenkt davon ab, wie gewaltvoll Sprache sein kann. Der
Professor meinte dann zu mir, dass das nun ein ande-
res Thema wäre und er kein Problem mit dem Begriff
hätte, wir darüber nun nicht diskutieren könnten. Mei-
ne Freundin hat auch noch mal betont, dass darüber
gesprochen werden müsste. Er hat das Gespräch unter-
bunden und niemand hat mehr was gesagt, das ist das
Phänomen des weißen Schweigens, das wir auch im Work-
shop nennen. Nach der Vorlesung haben mir dann aber
unglaublich viele Kommiliton*innen geschrieben, dass
sie es cool fänden, dass ich etwas gesagt hätte, wie mutig
ich sei, und dass sie mich unterstützen würden. In dem
Moment in der Vorlesung habe ich aber die Unterstüt-
zung nicht gesehen, ich wusste auch nicht, wie sie zu der
Verwendung von rassistischen Bezeichnungen stehen,
weil sie sich diesbezüglich nicht geäußert haben. In der
Vorlesung konnte also kein Gespräch über rassistische
Sprache stattfinden, weil die anderen Studierenden sich
unsicher waren, wie sie sich verhalten sollen. Es kann
aber nicht sein, dass es immer Betroffene sein müssen,
die Rassismus ansprechen, denn Rassismus muss auch
dann thematisiert werden, wenn keine Betroffenen
anwesend sind.
Die andere Situation geschah auf einem Perfor-
mance Festival, das an den Kulturcampus angebun-
den war. In einer Inszenierung gab es einen Vorfall von
blackfacing oder brownfacing. Ich hatte die Performance
nicht gesehen, wurde aber dennoch gefragt,
ob ich das Nachgespräch moderieren möchte.
Ich habe gar nichts mit Performance zu tun, ich studiere
Literatur, aber nur, weil ich nicht-weiß bin und mich mit
Rassismus auseinandersetze, wurde ich gebeten darü-
ber zu sprechen und dazu beizutragen das Problem zu
lösen. Ich habe das Nachgespräch nicht moderiert aber
besucht. Mit dem Professor aus der Vorlesung hat es
übrigens auch noch eine kurze Diskussion gegeben. Bei-
de Gespräche verliefen ähnlich: Es gab ein hin und her
zwischen »ich finde den Begriff nicht schlimm« und »ich
finde ihn aber schlimm«. Mir wurde in den Gesprächen
deutlich, dass es unterschiedliche Wissensstände über
Rassismus gibt, aber den Gesprächsteilnehmer*innen
schien das nicht klar zu sein, weil sich keine Ebene finden
ließ, über die das Thema besprochen werden konnte. Es
wurde nicht wahrgenommen, dass es unterschiedliche
Perspektiven im Raum gibt und auch unterschiedliche
Positionen des Sprechens. Stattdessen haben weiße Per-
sonen in den Diskussionen sehr oft betont, dass sie kei-
ne Rassist*innen seien, das hat ihnen ja auch niemand
vorgeworfen. Es geht auch nicht darum, wie Begriffe
oder Performances gemeint sind, sondern was sie trans-
portieren und auslösen und darum, ihre historischen
Verankerungen mitzudenken. Bei beiden Situationen
wurde mir sehr deutlich, dass der Großteil der Men-
schen im Raum etwas gegen Rassismus tun wollte, aber
gar nicht ganz versteht, was Rassismus ist und ich des-
halb immer wieder in die Position gerückt werde, Ras-
sismus erklären zu müssen. Weiße Menschen konnten
mich gar nicht unterstützen, weil ihnen das Wissen über
die Ursprünge von bestimmten rassistischen Bezeich-
nungen und Praktiken fehlte und sie dies verunsicherte.
Diese beiden Situationen fanden kurz hintereinander
statt und waren sehr prägend, weil ich ja wusste, was
ich mir von den weißen Menschen in den Diskussionen
gewünscht hätte. Da ich vorher schon in der politischen
Bildungsarbeit tätig war, kam die Idee auf einen Work-
shop zu schaffen, in dem weiße Menschen erarbeiten, wie
sie Rassismusbetroffene unterstützen können, damit
Diskussionen um Rassismus sich nicht ständig
im Kreis drehen, sondern tatsächlich Prozesse in
Gang gesetzt werden. Die Idee des Ally-Workshops ist
es also zu erarbeiten, wie weiße Menschen Verbündete
für diejenigen sein können, die negativ von Rassismus
betroffen sind, ohne sie zu bevormunden. »[An ally is]
a person who is a member of the ›dominant‹ or ›majority‹ group who works to end
oppression in his or her personal and professional life through support of, and as an
advocate with and for, the oppressed population.« (Evans / Washington 1991: 215).
Maja hat dann sofort gesagt: »ich bin voll dabei!« – und
ich kannte Majas Arbeit schon. Wir hatten dann großes
Glück, dass wir so gut zusammenarbeiten können.
[ Gerko Egert ] In welchen Kontext fanden die ersten
Workshops statt? War das an der Uni?
[ Maja Bogojević ] Zunächst haben wir den Workshop an
der Uni Leipzig durchgeführt. Im Anschluss haben wir
den Workshop für ein feministisches Partykollektiv
namens sieistguterjunge durchgeführt. So hatten wir
direkt verschiedene Settings. Während wir an der Uni
Studierende und studierte Personen im Workshop hat-
ten, war es im Partykollektiv anders. Da waren auch
Studierende dabei, aber es war insgesamt ein anderer
Kontext. Damals war es der zweite Workshop und wir
wussten vieles noch nicht, z. B. wie viel Honorar üblich
ist, etc. Wir werden meistens an Unis eingeladen, weil es
dort Gelder, Räume und Material gibt. Kontexte wie das
Partykollektiv haben solche Ressourcen nicht.
[ J. B. ] Wir finden ja gerade das how to in eurem Konzept
interessant. Warum bleibt ihr trotz Problematisierung
dabei und was ist am how to Format problematisch? Ich
frage dies, weil unsere Idee ja ein Buch mit open source
Formaten ist. Zugleich ist das ja mitunter auch proble-
matisch. Gerade euer Format kann ja nicht jede*r so
unterrichten. Je nachdem wer es unterrichtet, ist es ein
komplett anderes Format. Viele Workshops ähnlichen
Anspruches werden z. B. von weißen Männern unter-
richtet. Eure Techniken haben eine Geschichte, sie sind
situiert. Es sind bestimmte Biografien und
Perspektiven damit verbunden. Daher darf
man das how to nicht als einfache Aneignung verste-
hen. Es muss entwickelt werden und zwar von und mit
betroffenen Menschen.
[ M. B. ] Wir bleiben bei dem Titel, weil er catchy ist. Er
ertappt Personen ein bisschen, die denken: »Ok, ich
gehe in den Workshop und damit habe ich alles gelernt,
was ich wissen muss«. Dabei ist es ja ein bewusster Pro-
zess, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Es wird
nicht nach drei Stunden zu Ende sein. Aber einige Men-
schen haben diesen Anspruch an sich selbst und an uns
als Workshopleiter*innen. Und dann sagen wir in dem
Workshop, das ist genau was wir nicht machen wollen.
Weil wir ja manchmal mehr Fragen als Lösungen pro-
duzieren. Dies kann man als Motivation nutzen, um
weitere Literatur zu suchen, sich weiter auseinanderset-
zen, mit den Freund*innen in den Diskurs zu gehen. Zu
sagen: Ich bin mir bewusst, dass es diese gesellschaft-
liche Problematik gibt, wie kann ich dich als Freund*in
unterstützen? Damit nicht das passiert, was Arpana
geschildert hat. Dass es nicht bei einer Nachricht bleibt,
die sagt: »Wow, das war so mutig«, sondern bereits vor
dem Eintreten solcher Situationen ein Diskurs darüber
stattfindet. Dass eine Unterhaltung darüber geführt
wird und gemeinsam Strategien erarbeitet werden. Und
in Bezug auf Letzteres passt der Titel ja immer noch
ganz gut.
[ A. A. B. ] Ich stimme zu. Der Titel spricht an, was Menschen,
die sich mit Rassismus auseinandersetzen, suchen.
Eben weil es diese Unsicherheit bezüglich des Themas
gibt. Das sagen die Teilnehmer*innen auch am Anfang
des Workshops immer wieder: »Ich möchte mehr
Sicherheit haben.« Auch in Interviews oder Textanfra-
gen wird oft nach einer Liste, nach einem how to gefragt.
Wir versuchen im Workshop damit zu brechen. Ich wür-
de es eher in dem Sinne verstehen, dass wir ein how to
geben, wie man Situationen betrachten oder reflektieren
kann. Welche Handlungsmöglichkeiten sich dar-
aus ergeben, sind dann je nach Situation und wel-
che Personen involviert sind zu verstehen. Wie schauen
wir uns eigentlich Situationen an? Aus welchen gesell-
schaftlichen Positionen schauen wir auf Rassismus?
Welche Faktoren spielen da eine Rolle?
[ M. B. ] Das Entscheidende, was wir über den Workshop
sagen können, ist, dass er die Bedürfnisse der Betroffe-
nen in den Vordergrund stellt. Wir geben verschiedene
Strategien vor, sodass die Teilnehmenden das verstehen
können. We center the person that is being marginalized,
d. h. in diesem Fall eine von Rassismus betroffene Per-
son. Wir arbeiten da herum und kommen immer wieder
zu der These zurück, dass man nur zum Allyship kommt,
wenn man die Bedürfnisse und Probleme der Betroffe-
nen in den Mittelpunkt stellt.
[ A. A. B. ] Es ist daher auch problematisch, sich dieses For-
mat einfach anzueignen und daraus ein how to wie eine
Anleitung zu machen, weil alle Situationen unterschied-
lich sind. Sobald sich ein kleiner Faktor verändert, erge-
ben sich schon andere Handlungsmöglichkeiten. Oder
es fallen umgekehrt Handlungsmöglichkeiten weg. Je
nachdem wer mir helfen will – wenn mir eine Person
helfen will, die ich als ebenfalls von Rassismus betrof-
fen lese, ist das ein anderer Ausgangspunkt als wenn
mir eine weiße Person helfen will. Es macht auch einen
Unterschied, wenn Rassismus in der Bahn stattfindet
oder in meinem Wohnzimmer, ob es Tag oder Nacht
ist. Sobald sich ein Faktor ändert, ändern sich auch die
Handlungsmöglichkeiten. Daher gehen wir von Situati-
onen aus, die wir erlebt haben, weil wir die auch kom-
plett durchsprechen können. Wir wissen genau, was
passiert ist und haben alle Faktoren im Blick. Und wir
wissen ja auch, was wir uns gewünscht hätten. Wir kön-
nen nicht davon ausgehen, dass eine andere Person in
der gleichen Situation dieselben Bedürfnisse hat. Selbst
meine Schwester, die in einem ähnlichen Kontext auf-
gewachsen ist wie ich und ähnliche Fremdzuschrei-
bungen erfahren hat, hat in so einer Situation
vielleicht andere Bedürfnisse. Deshalb geht
es darum, die Bedürfnisse der Betroffenen im Fokus zu
behalten und nach diesen zu handeln.
[ J. B. ] Das finde ich stark an eurem Konzept. Dass ihr
nicht den Anspruch habt von und für alle zu sprechen.
Dieser Fokus basiert auf Erfahrungen und auf Bedürf-
nissen. Wir wollen ja in diesem Band auch immer von
Erfahrungen ausgehen und diese gleichzeitig politisch
verstehen. Ich möchte diesen Aspekt auch (selbst-)kri-
tisch betrachten. Ich habe mich gefragt, ob manche
Menschen es scheinbar auch brauchen, dass sie von
rassistischen Erfahrungen hören, weil sie die struktu-
relle Dimension leugnen. Man muss es ihnen nochmal
als Trainer*in sagen, von den eigenen Erfahrungen
sprechen. Man muss es nochmal erzählen, was ja auch
schmerzhaft ist, und dann erst glauben manche Men-
schen es. Anscheinend braucht es eine Authentifizie-
rung durch Erfahrung. Andererseits sind diese Erfah-
rungen für das Workshopkonzept, so wie ihr es erläutert
habt, zentral: Diese zu respektieren und nicht sofort auf
eine abstrakte Ebene zu wechseln. Beides muss zusam-
menspielen.
[ M. B. ] Und da ist ja die Gefahr, dass Rassismus als indi-
viduelles Problem wahrgenommen wird. Es wird auf
eine individuell gemachte Erfahrung reduziert, anstatt
anzuerkennen, dass es eine strukturelle Problematik
gibt. Aber wir wollen es auch von der Metaebene auf
unsere eigenen Erfahrungen zurückbeziehen. Wir mer-
ken, dass es am besten funktioniert und das ist unse-
re Praxis, dass wir an konkreten Situationen arbeiten.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass Rassismus struktu-
rell verankert ist. Die Leute denken, wir machen diesen
Workshop und damit machen wir die Uni rassismusfrei.
An diesem Punkt wollen wir das gar nicht, hier wollen
wir das zunächst auf die individuelle Ebene zurück-
bringen. Damit wollen wir die Uni zunächst etwas ent-
spannter für die Betroffenen machen. Unser Beispiel
aus dem Workshop, dass eine Gruppe BIPOC Black, Indigenous, People of Colour. Der Begriff People of Color, bzw. PoC ist ein Begriff der politischen Selbstbezeichnung für Menschen, die aufgrund von Hautfarbe, Sprache, Namen, Herkunft und / oder Religion markiert und rassistisch und / oder intersektional diskriminiert werden (Can 2008: 54). Diese politischen Selbstbezeichnungen haben in unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedliche Bedeutungen. keine Förderung für ihren Workshop erhält,
knüpft ja wieder an der strukturellen Ebene an. Wir
wollen keineswegs strukturellen Rassismus unsichtbar
machen, aber er ist auf individueller Ebene schwieriger
zu besprechen.
[ J. B. ] Könnte man umgekehrt sagen, dass euer Vorge-
hen Erfahrungen politisiert? Eine Erfahrung, wie bell
hooks sagt, ist nie nur meine Erfahrung. Sie ist immer
auch kollektiv und damit strukturell. Gleichzeitig sind
wir an der Universität gewohnt, in kritischen Kontexten
so sehr über Strukturen zu reden, dass wir vollkommen
vergessen, über konkrete Situation und Bedürfnisse zu
sprechen. Das ist sicher auch eine Immunisierungs-
strategie der Universität. Die Universität will ja ihrem
Selbstverständnis nach nur bedingt mit der Gesell-
schaft interagieren. Sie sagt wir sind da, um Strukturen
zu analysieren. Und natürlich auch Machtstrukturen,
was wichtig ist. Sie sagt aber auch implizit: Wir sind
nicht dafür da, die Menschen zu supporten. Dadurch wird
vergessen, dass dies ein Lernprozess sein kann. Lernen
kann so auch umdefiniert werden. Denn euer Workshop
hat ja ermöglicht und gefordert, dass die weißen Men-
schen sich situieren und positionieren. Und dass wir,
wie Maja sagt, in einen Diskurs gehen können, auch mit
Freund*innen. Und das ist auch lernen, Bildung und For-
schung! An der Uni liest man Texte, auch kritische Texte,
es gibt sogar Fortbildungen zu Antirassismus, aber am
Ende reden wir selten über Handlung als Wissensres-
source. Als ob die sich automatisch aus dem Gelesenen
ergibt. Aber Handlung generiert Wissen aus Erfahrung,
dennoch wird sie selbst in kritischen Formaten oft aus-
geklammert. Aber wenn man diesen Wissensbegriff
ablehnt, kann es gar nicht zu einem emanzipativen
Prozess in einer Gruppe kommen. In eurem
Workshop sagen Menschen, die es nie zuvor
gesagt haben, ich bin weiß. Auch da geht es um Lernpro-
zesse! Ich habe einiges über die von mir ausgehenden
white savourism Strukturen gelernt – aber auch vor allem
meine Wahrnehmung umzustellen und mich anderen
Bedürfnissen zu öffnen. Es fällt Wissenschaftler*innen
extrem schwer in Handlungssituationen Fehler zuzuge-
stehen. Auch mir. Wir vermitteln zu wenig das Respek-
tieren von Bedürfnissen an der Uni. Wir haben auch als
Gruppe auf eure Beispiele häufig analytisch geblickt.
Wenige aus dem Workshop haben zuallererst nach den
Bedürfnissen und Erfahrungen in rassistischen Situati-
onen gefragt.
[ M. B. ] Das ist spannend, denn wir brechen mit dem, was
die Universität uns vermittelt. Nämlich mit der Annah-
me, dass es sowas wie Objektivität gibt. In dem Sinne,
dass eine Position objektiv sein kann. Ich kenne das aus
meiner Uni Erfahrung, da ich ja Sozialwissenschaften
studiert habe. Da wird häufig davon ausgegangen, dass
ein Subjekt objektiv auf etwas schauen kann. Deshalb
finde ich es spannend mit unserem Workshop an die Uni
zu gehen. Denn so wie Arpana sagt, keine Person aus
der U-Bahn wird objektiv auf Arpana zugehen können
und irgendwie eine objektive und neutrale Positionie-
rung haben. Weil alles in einem konkreten Kontext und
in einem gesellschaftlichen Machtverhältnis geschieht.
Obwohl wir nicht von Objektivität sprechen. Aber sobald
wir von einer rassistischen Fremdbezeichnung in einer
Vorlesung sprechen, ist es ja nicht mehr objektives Wis-
sen, was vermittelt wird.
[ A. A. B. ] Genau. An meinem Literaturinstitut in Hildesheim
gab es 2017 eine relativ große Sexismusdebatte. Es gab
danach auch Seminare, in denen das Thema theoretisch
angegangen wurde. Es wird immer behauptet, Wissen-
schaft wäre objektiv. Wenn dann aber in Seminaren
Rassismus reproduziert wird oder eben auch Sexismus
sichtbar wird, wird nicht auf die Theorie zurückgegrif-
fen. Obwohl ja gerade an Unis das Potential da ist,
Erlebtes theoretisch und historisch einzuordnen,
um es zu verstehen. Wissenschaft könnte genutzt wer-
den, um Parallelen zwischen Theorie und Erlebtem zu
ziehen. Der Transfer findet nicht statt. Hier wird dann
angenommen es würde reichen zu sagen: »Ich finde das
nicht problematisch« – das ist ja ein total subjektiver
Ansatz. Da wird diese subjektive Wahrnehmung oder
Einschätzung benutzt, um zu sagen: »Wir müssen da
nicht weiterreden«. So wird Weiterdenken unterbunden.
An diesem Beispiel sieht man, wie Macht funktioniert,
weil das Argument der Objektivität und Subjektivität
von Privilegierten dann benutzt wird, wenn durch sie
Machtstrukturen gefestigt werden können.
[ J. B. ] Deshalb ist es wichtig, dass die Universität sich auf
allen Ebenen reflektiert und dekolonisiert. Dies muss
viel weiter und nachhaltiger geschehen. Da kann so ein
Workshop den Anstoß geben, dass auch in Instituten
Gruppen dauerhaft zusammenarbeiten. Man kann erst
im Prozess wirklich sehen, welche Ebenen an der Uni
das miteinbezieht.
[ A. A. B. ] Das bringt uns ja zurück zu den individuellen und
strukturellen Erfahrungen. Natürlich sind individuel-
le auch kollektive Erfahrungen. Wir würden ja nicht so
eine Dringlichkeit darin sehen, wenn wir nicht wüss-
ten, dass ganz viele Menschen ähnliche Erfahrungen
machen. In kollektiven Erfahrungen marginalisier-
ter Gruppen steckt ganz viel Wissen, das unsichtbar
gemacht wird. Das ist auch Thema in unseren Work-
shops, auch bezogen auf wissenschaftliches Arbeiten
und die vermeintliche Objektivität: Weiße Studierende
können auch benennen, dass sie ihre Hausarbeiten aus
weißen Perspektiven schreiben. Das macht ja auch was,
wenn ich meine Forschung oder eine Hausarbeit damit
beginne, mir klarzumachen aus welcher Perspektive ich
schreibe. Denn aus dieser Position blicke ich auf alles,
was ich erarbeite. Diese Praxis kann sich dann auch auf
strukturelle Ebenen übertragen.
[ G. E. ] Das war ja auch am Anfang des Work-
shops zentral, wo ihr verschiedene Begriffe
erklärt habt. Einige Begriffe kannte ich aus dem aka-
demischen Diskurs. Dann seid ihr aber direkt auf eine
persönliche Positionierung hingegangen, in denen
man diese Begriffe auf sich selbst angewendet hat. Die
Teilnehmer*innen verbinden dies vielleicht mit einem
abstrakten oder objektiven Vokabular und Vorgehen,
durch die Anwendung auf das eigene Leben merken sie
aber: Oh, das hat ja mit mir zu tun.
[ M. B. ] In unseren Workshop kommen Personen, die sich
zum ersten Mal gesellschaftlich positionieren müssen.
Es erfolgt eine bewusste Benennung ihrer weißen, pri-
vilegierten Positionierung. Und dann sitzen manche da
und sagen: Also ich positioniere mich erst einmal gar
nicht. Das sind auch sehr spannende Prozesse. Einige
Leute zögern oder nutzen distanzierende Formulie-
rungen, wie: »Wahrscheinlich bin ich weiß« oder »ich
würde mich als weiß bezeichnen«, dann kommentie-
ren wir bewusst nicht. Wir erklären aber, warum wir
es für wichtig halten, sich zu positionieren. Um zurück
zu dem zu kommen, was du gesagt hast: In den Aufbau-
workshops bringen die Leute ihre eigenen Erfahrungen
mit. Also Situationen, in denen sie nicht wussten, was
sie machen sollten. Da setzen wir wiederum direkt bei
den Erfahrungen aus der Uni, der Familie oder der poli-
tischen Arbeit an.
[ A. A. B. ] In dem Aufbauworkshop sprechen wir auch über
Situationen, in denen sich die Teilnehmer*innen selbst
rassistisch verhalten haben. Es ist relativ einfach dar-
über zu reden, was andere machen. Manchmal erken-
nen Teilnehmende dadurch einfacher, dass auch sie
sich in der Vergangenheit rassistisch verhalten haben.
Es macht einen Unterschied, wenn Teilnehmende über
eine Situation sprechen, um eigenes rassistisches Ver-
halten zu dekonstruieren. Sie erarbeiten dann, wie sie
handeln könnten, wenn sie darauf angesprochen wer-
den, um nicht die Betroffenen erneutem Stress
auszusetzen.
[ M. B. ] Genau. Es kommt oft die Situation vor, dass Leu-
te sich auf andere beziehen, die z. B. eine rassistische
Fremdbezeichnung genutzt haben, um das eigene
Handeln davon abzugrenzen. Aber vielleicht wechseln
sie trotzdem selbst die Straßenseite, wenn ihnen ein*e
BIPOC begegnet. Wir wollen verhindern, dass sich Leute
von anderen abheben, nur weil sie in der Auseinander-
setzung mit Rassismus vermeintlich weiter sind. Über
die Vorstellung des ›guten Weißen‹ sprechen Tupoka
Ogette und Noah Sow auch. Die knüpft an den white-
saviourism-complex an, den wir im Workshop besonders
betonen.
[ G. E. ] Da geht es ja auch nicht darum, wie werde ich ein*e
gute*r Antirassist*in, sondern wie funktioniert Allyship
und das ist immer von bestimmten Situationen abhän-
gig.
[ A. A. B. ] Teilnehmer*innen erarbeiten im Workshop, dass
sie oft in konkreten Situationen durch ihr Handeln, Ein-
greifen oder Helfenwollen ihr eigenes Interesse ausdrü-
cken wollen. Zum Beispiel, indem sie etwas lange aus-
diskutieren, um ein Statement zu setzen, vergessen aber
die Bedürfnisse der Betroffenen. Da frage ich mich, wie
können weiße Menschen Workshops zu Bedürfnissen
von Rassismus betroffener Menschen geben? Die Frage
ist, wer wird eigentlich angehört und ernst genommen?
[ J. B. ] Und wer kriegt Geld und Anerkennung. Ich mer-
ke durch das Gespräch immer mehr, wie problematisch
how to verstanden werden kann, gerade in Bezug auf
antirassistische Arbeit. Man kann solche Techniken nie
ohne Situierung und intersektionale Perspektiven den-
ken.
[ M. B. ] Deshalb ist es hier auch wichtig, dass wir auf Klas-
sismus zu sprechen kommen. Auch antirassistische
Arbeit kann klassistisch sein. Es wird manch-
mal gesagt: »Du kannst das ganz easy alles
googeln oder nachschlagen.« Aber das stimmt einfach
nicht, da der Zugang zu Wissen sehr unterschiedlich ist.
Wenn ich aus einer Arbeiter*innenfamilie komme, wie
kann ich lernen auf dieses Wissen zuzugreifen, wenn
es nicht durch einen Workshop ist, wo Leute einen viel-
leicht auch mal an die Hand nehmen. Da wollen wir
anknüpfen und weg von der Idee, dass sich jede Person
das selbst erarbeiten kann und muss. Aber es stimmt
natürlich auch, wenn Betroffene sagen: »Ich bin nicht
hier, um dich zu educaten.« Aber wir möchten sicherstel-
len, dass Nicht-Betroffene trotzdem Zugang zu diesem
Wissen bekommen. Denn: Wo können sie diese Fragen
sonst stellen, ohne Betroffene zu belasten? Wenn Men-
schen wirklich Interesse haben, dann nehmen wir sie
gerne ›an die Hand‹. Wir wollen auch keine Oppressi-
on Olympics betreiben, d. h. wir wollen nicht, dass man
diskutiert, welche Diskriminierung die schlimmste ist.
Wir versuchen alles als intersektionale Gegebenheiten
und Lebensrealitäten zu betrachten. Auch im Bezug auf
unsere eigenen Positionierungen: Wir selbst bringen
auch viele Privilegien mit, als Personen, die im globalen
Norden aufgewachsen und in Westeuropa sozialisiert
sind.
[ A. A. B. ] Und auch ›Google it‹ ist gefährlich, wenn man
nicht gelernt hat, wie man Internetseiten genau liest
beziehungsweise Quellen einordnet. Wenn ich »Rassis-
mus« in eine Suchmaschine eingebe, kann ich auf Sei-
ten kommen, in denen erklärt wird, dass es Rassismus
gegen weiße Menschen gibt oder Rassismus gar nicht
existiere. Um so problematischer ist es, wenn Diskussi-
onen über Rassismus an Unis abgewürgt werden, weil
da genau der Zugang zu Wissen ist. Da ist ja die Mög-
lichkeit, darüber zu reden. Gleichzeitig wird in migran-
tischen communities auch viel über Rassismus geredet,
eben manchmal nicht mit akademisierten Begriffen,
aber aus einem Erfahrungswissen. Und wir betonen im
Workshop immer wieder: Die Teilnehmer*innen müs-
sen noch Workshops, die andere Aspekte des Ras-
sismusdiskurses thematisieren, besuchen. Auch
Formate aus Schwarzen, jüdischen und / oder geflüchte-
ten Perspektiven, weil wir ja nur aus unseren Perspekti-
ven sprechen. Wir können ja nicht für alle BIPOC spre-
chen. Und wir gehen davon aus, dass es Perspektiven
gibt, die uns widersprechen. Damit würden wir unsicht-
bar machen, dass es diese unterschiedlichen Perspekti-
ven gibt und dass es intersektionale Überschneidungen
gibt, die noch andere Erfahrungen hervorrufen.
[ G. E. ] Ich würde gerne zum Schluss noch mal auf ein
anderes Thema zu sprechen kommen. Die Techniken,
wie z. B. Lösungsvorschläge für einzelne Szenen, die
ihr präsentiert: gemeinsam besprechen, sich im Raum
verteilen, sich positionieren – woher stammen diese?
Kommen die wie der Impuls für die Workshops auch aus
euren Uni Kontexten oder aus dem Aktivismus?
[ A. A. B. ] Viele der Techniken, die wir anwenden, kommen
aus der politischen Bildungsarbeit. Sie werden dort
immer weitergetragen, so dass man gar nicht zurück-
verfolgen kann, wo sie eigentlich herkommen. Die
Methoden und Übungen haben wir abgewandelt und
angepasst. Sich gesellschaftlich positionieren zu müs-
sen, kommt aus einer Betroffenheit. Denn wenn Margi-
nalisierte es müssen, dann sollte es das Gegenüber, die
unbenannte Norm, auch tun. Wobei Intersektionalität
etwas ist, was ja im wissenschaftlichen Rahmen auch
besprochen wird.
[ M. B. ] Das Positionieren kenne ich vor allem aus akti-
vistischen Kontexten. Dort wird das schon sehr lange
praktiziert. Man kann es wahrscheinlich nicht auf eine
Ursprungsszene zurückverfolgen, aber Arbeiter*innen,
queere Menschen und BIPOC haben es angewandt, um
Ungleichheiten erstmal sichtbar zu machen und kollek-
tive Erfahrungen zu kommunizieren. Ich denke daher,
es ist eine Mischung aus Aktivismus, politischer Bildung
und Wissenschaft. Aber auch antirassistische, akade-
mische Perspektiven aus dem US-amerika-
nischen Raum auf Intersektionalität wie z. B.
Kimberle Crenshaw spielen ja auch hierbei eine große
Rolle. Das findet im deutschen Kontext vereinzelt und
zeitlich versetzt statt.
[ A. A. B. ] In Bezug darauf, stößt auch der Workshop an seine
Grenzen, denn wir können da ja nicht alles durchspre-
chen. Wir können Ewigkeiten so weitermachen. Wir
könnten andere Diskriminierungsformen, die uns auch
betreffen, hinzufügen. Aber irgendwann wird es für
einen Workshop immer undurchsichtiger.
[ J. B. ] Daher ist es wichtig, die Spezifik beizubehalten,
weil das gerade in vielen heutigen Diversitytrainings
alles durcheinander geht und nicht mehr auf die Spezi-
fik gerechtet wird. Die Institutionen überfrachten diese
Trainings mit zu viele unspezifischen Erwartungen, die
gerade kurze Formate nicht klären können (und sollten).
Denn der Druck auf Trainer*innen kommt ja daher, dass
immer ›extra‹ Mittel aufgewendet werden und antiras-
sistische Trainings keine integralen Formate sind.
[ M. B. ] Das kennen wir auch. Ich finde es schwierig,
immer wieder all diese Nuancen aufzeigen zu müs-
sen. Wir befinden uns dann in einer verantwortlichen
Situation, denn über all diese Themen muss dringend
gesprochen werden. Ich möchte mir nicht Themen
aneignen, die nicht meine sind. Es ist ein Balanceakt.
Wir hoffen, wir haben der Person ein Wissen mitgege-
ben, dass sie übertragen kann, auch auf andere Situati-
onen. Und ich frage mich, wo können Teilnehmer*innen
dann weiterführende Fragen stellen? Wo werden Räu-
me geschaffen?
[ A. A. B. ] In Bezug auf konkrete Fragen oder Situationen,
die Teilnehmer*innen besprechen möchten, braucht
es – insbesondere wenn es um Strukturen geht – klein-
schrittige Beratungsprozesse. Deshalb müssen wir so
viel wie möglich über die jeweiligen Situationen wissen,
um zu schauen, ob sie im Workshop besprochen
werden könnten.
Uns interessiert, wie ihr das weiterführt und was der
Workshop mit eurer Arbeit gemacht hat – wir kriegen
das ja oft nicht mit, daher ist das spannend.
[ G. E. ] Was es institutionell auslöst kann man aufgrund
der heterogenen Gruppe nicht sagen. Das kann man
leichter bei zusammenarbeitenden Gruppen sagen.
Bei mir individuell ist eine Verschiebung hin zu einem
Nachdenken von abstrakten Konzepten hin zu Allyship
passiert. Ich denke, das wird sich in konkreten Erfah-
rungen zeigen. Ich kann keine Kette von Effekten, son-
dern viele Fragmente erkennen, die sich in den Alltag
ziehen.
[ J. B. ] Bei mir kam wie gesagt das Bedürfnis auf, länger
und nachhaltiger mit einer Gruppe zu arbeiten. Ich habe
mich gefragt, wie ich mich in der Institution engagiere,
ohne Formate aus dem Aktivismus an die Institution
anzugleichen. Wir müssen uns dauerhafter an der Uni
in diese Prozesse begeben. Wir müssen Formate in Stu-
diengängen implementieren. Und nun möchte ich das
auch in unserem Graduiertenkolleg einführen, viel-
leicht als längerfristiges Format. Was könnten Kontex-
te sein, wo ich antirassistische und dekoloniale Arbeit
machen kann – nicht nur für mich, sondern um auch
die Institution zu ändern. Mir ist aber auch vor allem
klargeworden, dass ich mich, wie schon gesagt, auch
schon einmal wie ein white saviour verhalten habe und
selbst hier über mich nachdenke. Ich merke, dass ich zu
schnell auf die analytische Ebene wechsele, manchmal
zu wenig Ally bin. Ich habe in entsprechenden Situatio-
nen zu wenig bei den Betroffenen nachgefragt. Wie kann
man das in Seminaren präsenter machen, ohne dass ich
das aufgrund meiner Position und Hautfarbe machen
kann, auch wegen dem Hierarchiegefälle. Obwohl die
Erfahrungen politisch sind, kann ich sie ja nicht einfach
im Seminarraum einfordern. Es muss ein entsprechen-
des Klima geschaffen werden, an dem ich arbeite. Wie
kriege ich die Gruppe dazu, sich Prozessen
der Kritik und Selbstreflexion zu stellen ohne
Druck und Schuld? Ich hoffe, dass die Bedürfnisorien-
tierung und Sichtweisen Betroffener noch stärker inte-
grieren zu können, um diese zum Ausgangspunkt der
Auseinandersetzung mit Rassismus zu machen.
[ M. B. ] Für unsere Praxis stellen wir uns die Frage, ob wir
nicht auch ein follow up Meeting machen sollten. Es ist ja
auch für uns ein Lernprozess. Mich würde interessieren,
was es bedeutet Antirassismusarbeit im Gegensatz zu
Antiklassismus an die Uni zu bringen. Aus unserer Sicht
ist momentan Rassismus als Thema gefragter. Es wird
noch nicht genug angeboten, aber es scheint zurzeit ein-
facher zu thematisieren. Vor allem für weiße Personen.
Workshops nur für BIPOC sind sehr viel schwieriger zu
finanzieren und finden weniger statt als Workshops nur
für weiße Menschen.
[ J. B. ] Ja, meinst du es ist einfacher in diesem Format,
weil sowieso fast ausschließlich weiße Menschen an der
Universität beschäftigt sind? Und die Empowering For-
mate werden nicht gefördert, weil gesagt wird, es gäbe
keine Nachfrage?
[ M. B. ] Es ist nicht nur eine angeblich zu kleine Grup-
pe. Es sei angeblich ausschließend, ein Format nur für
BIPOC durchzuführen. Es sei dann angeblich Rassis-
mus gegenüber weißen Personen. Es wird strukturell
nicht darüber nachgedacht, warum so etwas wichtig
sein könnte. Es wird nur gesagt: »das ist ausgrenzend«.
[ A. A. B. ] Es wird so getan als ob Antirassismusworkshops
für weiße Menschen auch die Interessen von Betroffe-
nen abdecken. Natürlich finde ich es wichtig, dass sich
weiße Menschen über Rassismus fort- und weiterbilden,
dass sie sich fragen, was Weißsein in den verschiedenen
Kontexten, in denen wir uns bewegen, eigentlich bedeu-
tet. Aber mein Interesse ist auch, dass ich mich mit
Rassismus auseinandersetzen kann. Und weil ich das
in weißen Räumen sehr schwer kann, ohne dass
zum Beispiel meine Erfahrungen infrage gestellt
werden, braucht es halt eben auch andere Räume. Es
geht darum explizit die Perspektive der Betroffenen zu
adressieren, aber das sehen Veranstalter*innen und
auch Geldgeber*innen oft nicht.
[ M. B. ] Es passiert dann sowas wie bei diversen
Fördergeldgeber*innen, dass BIPOC Projekte, die nur
für BIPOC sind oder radikalere Forderungen haben,
nicht mehr gefördert werden. Diese Projekte verlieren
auch zunehmend an Mitteln. Für unseren Workshop
hingegen kommen wir einfacher an Mittel, weil wir
weiße Personen centern.
[ J. B. ] So toll es ist, dass ihr dieses Format macht, was ich
wirklich sehr schätze – so krass ist die Situation, dass
es für ausschließlich weiße Menschen ist, die sich in
weißen Räumen wie der Universität bewegen. Ihr warnt
ja BIPOC vor den Verletzungen, die durch eure Thema-
tisierungen ausgelöst werden können. Das schafft einen
spezifischen Raum. Und was passiert dann an einer
mehrheitlich weißen Universität? Daher können mit-
unter Workshops zu Rassismus affirmativ gegenüber
Strukturen funktionieren, die sich dadurch nicht in der
Tiefe ändern. So wie Noah Sow es in ihrem offenen Brief
an einen großen deutschen Verlag adressiert Siehe: www.
noahsow.de/blog/lieber-verlag-mit-grosser-kinder-und-jugendbuchabteilung/ .
[ A. A. B. ] Ja total! Ich habe daher Angst, dass unser Work-
shop als Ausrede verwendet wird. Es besteht die Gefahr,
dass Unis oder Kulturinstitutionen, die uns mit den
Workshops in ihre Räume holen, damit sagen können
»wir haben uns jetzt mit Rassismus auseinanderge-
setzt« und das Thema abhaken. Tatsächlich haben sie
sich aber nur einen Tag oder drei Stunden mit dem The-
ma beschäftigt, die Auseinandersetzung mit Rassismus
ist ein jahrelanger Prozess. Daher war meine Frage an
euch: Was hat der Workshop mit eurer Arbeit gemacht?
Es ist deshalb so wichtig, dass wir keine festen Anlei-
tungen bieten, sondern es so offen wie mög-
lich halten, damit daraus noch was entstehen
kann und Prozesse der Auseinandersetzung in Gang
gesetzt werden. Passiert das nicht, bleiben Institutionen
da stehen wo sie sind und es ändert sich nichts struktu-
rell. Und wir und unsere Arbeit werden einfach als Aus-
rede benutzt.
[ M. B. ] Voll – wir werden dann tokenisiert. Du sagtest
eben, dass Unis mehrheitlich weiße Räume sind. Ich habe
nicht die Erfahrung gemacht, dass dies offen benannt
wird. Uns geht es aber darum, dass das gekennzeichnet
wird, damit auch darüber gesprochen werden kann wel-
che Ausgrenzungen stattfinden. Es ist uns wichtig, dass
wir BIPOC ersparen, dass andere Studierende sagen:
»Also ich sehe ja keine Hautfarbe«, weil so Erfahrungen
unsichtbar gemacht werden. Und da sind wir wieder bei
der Wichtigkeit des Positionierens.
[ J. B. und G. E. ] Vielen Dank an euch für das Gespräch!
Literatur
AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-
Universität zu Berlin (2014):
Was tun? Sprachhandeln aber wie?
W_ortungen statt Tatenlosigkeit!, online:
www.feministisch-sprachhandeln.org ,
abgerufen am 31. März 2020.
Can, Halil (2008):
»Empowerment und Powersharing als
politische Handlungsmaxime(n).
Strategien gegen Rassismus und
Diskriminierung in ›geschützten‹
People of ColorRäumen – das Beispiel der
EmpowermentInitiative HAKRA«,
in: Bundschu, Stephan, Birgit Jagusch,
Hanna Mai (Hg.), Holzwege, Umwege,
Auswege – Perspektiven auf Rassismus,
Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.
IDA e. V., Düsseldorf: DüsselDruck,
S. 53–56.
Evans, Nancy J./Washington, Jamie (1991):
»Becoming an Ally«, in: Nancy J. Evans
und Vernon A. Wall (Hg.), Beyond
Tolerance: Gays, Lesbians, and Bisexuals
on Campus. Alexandira (VA):
American College Personnel Association,
S. 195–204.
Sow, Noah (2020):
Lieber Verlag mit großer Kinder- und
Jugendbuchabteilung, online: https://
www.noahsow.de/blog/lieber-verlag-mit-
grosser-kinder-und-jugendbuchabteilung/,
abgerufen am 23. April 2020.
Ogette, Tupoka (2018):
Exit RACISM. Rassismuskritisch denken
lernen, Münster: Unrast.